Landeshauptstadt: Sorge wegen Neonazis in der Waldstadt
Beirat „Potsdam bekennt Farbe“ warnt vor sich verfestigenden rechtsextremen Strukturen
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Waldstadt – Im Stadtteil Waldstadt versucht sich die rechtsextreme Szene zu etablieren. Etliche dort wohnende Jugendliche fühlen sich von Neonazis bedroht. Da bisher aber keine Strafanzeigen bei der Polizei vorliegen, sind der Justiz die Hände gebunden. Das geht aus einem internen Protokoll der jüngsten Sitzung des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ hervor, in dem Politik, Initiativen der Zivilgesellschaft, Extremismusexperten und die Polizei sitzen – und bereits zweimal die Lage in der Waldstadt diskutiert haben.
Laut dem den PNN vorliegenden Papier sei die extreme Rechte in Waldstadt „verbal stark engagiert“. Die Rechtsextremen würden sich bei Angriffen gegen alternative Jugendliche „einer niedrigen Schwelle der Gewalt bedienen, die nicht unmittelbar“ zu Strafanzeigen führe. Anders als noch vor Jahren würden Potsdams Neonazis statt auf „lautstarke Diskriminierung“ auf „leisere und subtilere Methoden“ der Bedrohung setzen. Dies aber führe zu Problemen im Umgang mit den Extremisten: Bei unterhalb der Straftatschwelle erfolgenden Aktionen oder ganz ohne Strafanzeige könne die Polizei keine Ermittlungen aufnehmen. Zwar werde der Stadtteil aufmerksam beobachtet, jedoch bekomme die Polizei „keinen Zugang zur jugendlichen Szene“, wurde in der Beiratssitzung berichtet.
Gleichwohl beobachten sowohl Mitarbeiter der Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus als auch Polizisten laut Protokoll ein Erstarken der Neonazi- Strukturen in der Waldstadt. Dabei sei davon auszugehen, dass der – gestern für die PNN nicht erreichbare – 30-jährige Stadtverordnete Marcel Guse (früher NPD) in dem Stadtteil aktiv sei, heißt es im Protokoll – als „Anführer der Freien Kräfte Potsdam“. Als Freie Kräfte werden nicht parteigebundene und netzwerkartig organisierte Neonazi-Gruppen bezeichnet. Im Internet rühmten sich die Potsdamer Neonazis zuletzt mit Mini-Demos vor dem Waldstadt-Center und am Toom-Markt in Babelsberg, bei denen sie auf einem Transparent gegen Demokraten hetzten. Sämtliche Teilnehmer hatten sich dazu weiße Masken vor ihre Gesichter gezogen.
Als Möglichkeiten des Umgangs mit den Neonazis schlagen die Beiratsmitglieder laut Protokoll die Aufklärung über solche Umtriebe vor, um Bürger zu sensibilisieren. Auch wird erwogen, dass alljährliche Toleranzfest im nächsten Sommer in der Waldstadt stattfinden zu lassen. Auch im zuständigen Stadtteilrat sollen die Neonazis zum Thema gemacht werden.
Bereits seit Anfang des Jahres warnen Potsdamer-Antifagruppen vor einer wachsenden Zahl rechtsextremer Propaganda-Aktionen und Übergriffen durch Neonazis, speziell in der Waldstadt. Allein von Januar bis Ende Juni sind in einer Antifa-Chronik im Internet mehr als 40 Aktionen von Potsdamer Rechtsextremen beschrieben. Diese Woche meldete das Antifa-Pressearchiv Potsdam, bereits Anfang August hätten bis zu zehn Neonazis einen alternativen Jugendlichen in der Innenstadt vom Fahrrad gezogen und ihn getreten – er habe aber fliehen können.
Der Polizei liegt auch hier keine Strafanzeige vor. Bei anderen Schilderungen der Antifa sei es genauso, sagte Polizeisprecherin Katrin Laurisch – die Zahl der Anzeigen rechtsmotivierter Straftaten sei seit dem Frühjahr sogar leicht gesunken. Daher appelliere die Polizei, sich bei konkreten Vorfällen zu melden, so Laurisch: „Es gilt: Eine Anzeige ist immer besser als keine Anzeige. Um Täter zu ermitteln, Opfer zu betreuen und ein realistisches Bild der politisch motivierten Kriminalität zu erfassen, ist eine Anzeige unumgänglich.“
Ein Grund für ausbleibende Anzeigen könnte sein, dass alternative Jugendliche sich sorgen, ihr Name samt Adresse würden bekannt, wenn sie zur Polizei gehen, sagte Laurisch: „Dem ist aber nicht so, jeglicher Inhalt von Ermittlungssachen in dieser Form ist nicht einsehbar – diese Angst entbehrt jeder Grundlage.“ H. Kramer
H. Kramer
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