
© H-H. Hertle
Homepage: Souverän nach innen wie außen
Freunde aus dem In- und Ausland feierten den 75. Geburtstag des ehemaligen ZZF-Direktors Christoph Kleßmann
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Eigentlich hatte er eine große Schwäche für griechische Antike. Um ein Haar wäre er deshalb Althistoriker geworden. Dass er dann doch bei der Zeitgeschichte landete, stimmt Kollegen und Freunde bis heute froh: Christoph Kleßmann, eine Legende unter den Potsdamer Historikern, konnte sich des Lobes kaum erwehren, als vergangenen Donnerstag sein 75. Geburtstag im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in großem Rahmen gefeiert wurde. Einem offenen Festkolloquium „Die Ost-West-Passage“ folgten am Abend Jazzklänge und drei Vorträge von alten Weggefährten des einstigen Direktors am Zentrum für Zeithistorische Geschichte (ZZF). „Anwalt der integrierten Zeitgeschichte“ nannte Martin Sabrow, heutiger Direktor am ZZF, seinen Vorgänger, einen Mann mit westfälischer Bodenhaftung und intellektueller Offenheit, wie er sagte. Qualitäten, die Kleßmann in schwierigen Situationen immer wieder zur Geltung gebracht habe – nicht selten zuerst für die anderen.
Christoph Kleßmann zählt zu jenen Historikern, die systematische Ost-West-Vergleiche schon lange vor Mauerfall und Wiedervereinigung wagten. Seine Monografien „Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955“ (1982) und „Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970“ (1988) erlebten zahlreiche Neuauflagen und wurden Standardwerke zu den deutsch-deutschen Entwicklungen im Kalten Krieg. Seit Mitte der 1970er-Jahre Professor in Bielefeld, pflegte Kleßmann den Blick fürs Ganze, auch wenn ihm DDR-Archive unzugänglich blieben. Wer konnte deshalb geeigneter sein, um im Osten nach 1990 bei der Installierung selbstständiger zeithistorischer Forschung zu helfen?
1993 kam Kleßmann nach Potsdam und wurde Mitglied der kommissarischen Leitung am ZZF. Dem blies von Anfang an bald der eisige Wind kritischer bis provokanter Kommentare und Feuilletons entgegen. In der Tat war das ZZF in seinen Anfangsjahren ein gewagtes Experiment. Das unverwechselbare Forschungsprofil war noch nicht gefunden, und Historiker wie Sozialwissenschaftler aus grundverschiedenen deutschen Lebenswelten stießen aufeinander. Konnte dies gut gehen? Es konnte, denn in den entscheidenden Jahren von 1994 bis 2004 war Christoph Kleßmann am Ruder. Ohne großes Getöne meisterte er den Job souverän nach innen wie nach außen. Eine kreative Ost-West-Mischung prägt bis heute die Teams am ZZF, das längst aus dem engen Refugium Am Kanal an den Neuen Markt umgezogen ist und mit neuen Forschungsprojekten und Studien stetig expandiert.
Als Christoph Kleßmann im Jahre 2004 – inzwischen Professor Emeritus – dem langjährigen Kollegen Martin Sabrow die Kommandobrücke übergab, war das Haus in der brandenburgischen wie in der bundesdeutschen Forschungslandschaft fest integriert und eine kombinierte Bund-Länder-Förderung auf dem Weg. Heute ist das ZZF Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft und deckt Forschungsspektren von Regime-Vergleichen des 20. Jahrhunderts bis zur Zeitgeschichte der Medien- und Informationsgesellschaft ab.
Für Kleßmann kann man sich freuen, dass ihn das zehnjährige Direktorat weder ausgebrannt noch betriebsblind gemacht hat. Im Gegenteil: Die Forschung hat den freundlich-bescheidenen und gern auch mal selbstironischen Historiker bis heute nicht losgelassen. Dafür gab es zur Feierstunde im HBPG gleich zwei Kronzeugen am Rednerpult: Professor Jürgen Kocka (Berlin) bescheinigte dem alten Weggefährten, nicht nur ein Pionier der integrierten deutsch-deutschen Zeitgeschichte, sondern auch ein anerkannter Experte der Arbeitergeschichte zu sein. Seine Bücher belegen es. 2007 legte er etwa die 900 Seiten schwere Studie „Arbeiter im ‚Arbeiterstaat' DDR“ vor - mittlerweile unverzichtbar für alle jene, die sich an eine Gesamtinterpretation der DDR-Geschichte heranwagen wollen.
Wie Christoph Kleßmann als Historiker und Mensch stets auch über den deutsch-deutschen Tellerrand hinausschaut – und das noch immer tut –, beschrieb schließlich Professor Jan Rydel von der Pädagogischen Universität Krakau. Rydel rief ins Gedächtnis, dass Kleßmann schon bei seiner Dissertation über polnischen kulturellen Widerstand während der NS-Besatzung recht unkonventionelle Wege ging, um Land, Leute und Archive kennenzulernen. Später schrieb er auch über die polnische Gewerkschaftsbewegung, die Ostpolitik Willy Brandts und die Beziehungen zwischen der DDR und Polen. Heute arbeiten Rydel und Kleßmann gemeinsam mit viel Verve im Vorstand der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung. Respekt- und liebevoll versicherte Jan Rydel: „Jedes Volk wünscht sich so einen Partner, aber die Polen werden Christoph Kleßmann mit niemandem teilen.“ Olaf Glöckner
Olaf Glöckner
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