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Alte und neue Pandemien beschäftigen die Forscher
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Weltweit waren am 1. November 490 000 Menschen offiziell an der Schweinegrippe erkrankt, 6100 Tote zählt die Statistik. „Sehen wir nur die Spitze oder den Eisberg?“, fragte unlängst Stefan H.E. Kaufmann im Potsdamer Einstein Forum. Der Professor für Immunologie und Mikrobiologie vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie berichtete über „alte und neue Pandemien“ vor dem Hintergrund des aktuellen, weltweiten Seuchenszenarios.
Kaufmann erklärte, wie sich die Bekämpfung von Seuchen im vergangenen Jahrhundert geändert hat, und wo die aktuellen Probleme bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten liegen. Schon bei den Begrifflichkeiten herrsche Verwirrung, meint Kaufmann. Eine Pandemie benenne einen „zeitlich begrenzten, aber weltweiten Infektionsverlauf“, erklärte er.Die Schweinegrippe sei nur eine von vielen hochansteckenden Infektionskrankheiten, die unter dem Oberbegriff Seuchen fallen.
Ausgangspunkt der Betrachtungen des Mediziners ist die Tuberkulose. Jeder dritte Mensch trage weltweit den Tuberkuloseerreger in sich. Daran erkrankten dann zwar nur zehn Prozent, dies reiche aber aus, um alle 15 Sekunden einen Todesfall zu verursachen. Mehr Infektionen verursache nur der HIV-Virus. Befördert durch Aids wiederum fände aber auch die Tuberkulose beste Ausbreitungsbedingungen. Historisch betrachtet erscheint die gegenwärtige Rückkehr der Tuberkulose dabei wie ein Ergebnis verpasster Gelegenheiten, stellt der Professor kritisch fest. Obwohl der Erreger der Tuberkulose schon seit mehr als 125 Jahren bekannt ist und Diagnostika, Therapien und Impfstoffe existieren, stellt die Krankheit immer noch ein drängendes Problem dar.
Dies liege auch an einer verengten Sichtweise der westlichen Welt, in der die Tuberkulose Mitte der siebziger Jahre als ausgerottet galt. Deshalb sei die Forschung praktisch auf dem Stand von 1970 eingefroren. Seitdem wurden lediglich drei neue Medikamente entwickelt. Tatsächlich aber hat sich die Krankheit in Asien und Afrika weiter ausgebreitet. Dabei habe sie mittlerweile Erreger gebildet, die gegen vorhandene Medikamente immer häufiger resistent seien.
Profitinteressen würden in erheblichem Maße die Entwicklung und Vermarktung der Medikamente aber auch die Verbreitung und Übertragung von Krankheiten steuern, so Kaufmann. Mit ungleicher Verteilung. „Ein Siebtel der Weltbevölkerung nutzt 90 Prozent aller Medikamente.“ Die Pharmaindustrie spiele eine zentrale Rolle. In Afrika sind mit 24,7 Millionen die weitaus meisten Aids-Erkrankungen nachgewiesen. Als aber in Südafrika kostengünstige Medikamente auftauchten, hätten 39 Pharmafirmen unverzüglich den Gerichtsweg beschritten, um dagegen zu klagen. Nur wegen schlechter Publicity sei die Klage wieder zurückgezogen worden.
Bei der Verbreitung neuer Seuchen spielt auch der Profit eine Rolle. Wegen des weltweit immer noch steigenden Fleischkonsums gibt es immer mehr Massentierhaltung. Immer mehr Hühner, Lachse, Schweine und Rinder auf immer engerem Raum erfordern aber auch ein stets gesteigertes Maß an Antibiotika und Wachstumsmitteln. Unabhängig davon, dass sich diese letztlich auch auf dem heimischen Teller wieder fänden, förderten sie die Herausbildung von resistenten Stämmen bei Bakterien und Viren. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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