Brandenburgs Rechtsmedizin-Institut in Gefahr: Staatliche Hoheit am Edelstahltisch
Brandenburgs Institut für Rechtsmedizin soll aufgelöst werden. Die Ärzte am Schloss Lindstedt kennen solche Vorschläge – und den Wert ihrer Arbeit.
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Totgesagte leben länger. Jörg Semmler lächelt mild. Der 63-Jährige trägt zu blauen Augen und grünem Kittel eine rote Brille. Er streicht sich über den ergrauenden Oberlippenbart; gerade eben noch hat er obduziert, obwohl Institutsdirektoren das ja nicht mehr oft selbst machen, doch ein Mitarbeiter ist nicht arbeitsfähig, weil er am Morgen mit dem Rad gestürzt ist und außerdem hat er die beiden Leichen ohne Kopf am Tag zuvor ja selbst aus einem Auto bei Niemegk geborgen.
„Es ist das siebente Mal, dass man uns aus dem Staatsdienst entfernen will.“ Semmler wiegt den Kopf, er zweifelt weder daran, dass dieser Versuch scheitert, noch, dass es einen achten geben wird. Einmal wollte ein Staatssekretär Brandenburgs Institut für Rechtsmedizin auflösen, übersah aber, dass das Land über keine Universitätsmedizin verfügt, die die Rechtsmedizin hätte übernehmen könnte. Einmal sollten das Institut am Schloss Lindstedt von den Greifswaldern geschluckt werden – bis allen klar war, dass Potsdam der größere, viel bedeutendere Fisch war und wenn überhaupt, die Fusion andersherum verlaufen wäre.
Nun hat die Enquetekommission des Landtags zur Kommunal- und Verwaltungsreform vorgeschlagen, Semmlers Institut aufzulösen und die Aufgabe einem Klinikum zu übertragen. Mag sein, dass zu unscharf zwischen Pathologie und Rechtsmedizin unterschieden wird. „Wir sind keine Pathologen“, sagt Semmler. Den ganzen Tag nur Gewebeschnitte unterm Mikroskop analysieren – „ich könnte das nicht“. Das Metier Semmlers und seiner 24 Mitarbeiter inklusive der Außenstelle in Frankfurt/Oder ist zunächst einmal die Obduktion. Eigentlich, sagt der Mediziner freimütig wie freundlich, habe er gar keine Zeit, sich und seine Arbeit ständig erklären zu müssen. Semmler hat zu tun, drei Sektionen stehen an diesem Tag an, für eine wird er zur Endabnahme gerufen. „Kommen Sie mit“, lädt er ein.
Zunächst muss ein Blick genügen. Wahrscheinlich testet der Mann die Standhaftigkeit seiner Gäste. Was war das eben im Obduktionssaal, dessen Tür Semmler kurz öffnete? Eine Impression mit viel rot und grün. In der Mitte ein Edelstahltisch, bleiche Fußsohlen, ein geöffneter Brustkorb. Eine Schale voller rotem Fleisch. Nein, kein Fleisch, Organe: Lunge, Magen, Herz. Eine blonde Medizinstudentin im grünen Overall mit Blut an den Handschuhen, die aufschaut und lächelt.
Tür zu.
Semmler bietet eine Minute an frischer Luft an. Er selbst muss zur Abnahme. Auf dem Raucherplatz steht Lutz Müller, er ist leitender Sektionsassistent, und die Frage, was das für kleine Spritzer auf seinem Kittel sind, stellt sich nicht. Müller ist ein freundlicher, kräftiger Mann, er zieht an seiner Zigarette und bekennt, einen anstrengenden Tag zu haben. „Man muss ja die Leiche auch wieder restaurieren“, der Schnitt geht „vom Hals bis zur Schambeinfuge“, hinterher kommen die Organe wieder rein und dann wird zugenäht. Zwei junge Frauen mit blauem T-Shirt, darauf das Wort „Kriminalpolizei“, stellen sich hinzu und trinken aus großen Pötten Kaffee. Auf einer Tasse drei Buchstaben: „CSI“. Das steht für „Crime Scene Investigation“, es gibt eine amerikanische TV-Serie, die „CSI“ heißt. Beide sind da wegen der beiden Toten mit den abgetrennten Köpfen. „Man wächst langsam rein“, sagt die eine, „man muss das als Arbeitsgegenstand sehen“, die andere.
Kaum wieder drin, klingelt es. Semmler erscheint und ruft „Lutze, komm mal, Kundschaft.“ Vor der Tür steht der Mercedes eines Bestattungsinstituts, zwei Männer in schwarz betreten das Institut: „Mahlzeit, die Herren.“ Es ist eine Abholung. Müller holt einen Rolltisch aus der Kühlkammer, darauf eine längliche, weiße Plastikhülle, darauf wiederum steht die Zahl „45“. Das Gewicht, sagt Müller. „Das ist nicht viel“, findet ein Mitarbeiter der Firma Arnold-Bestattungen, „wir hatten schon andere mit 140“. Sie heben den Plastiksack an, jeder an einem Ende, und legen ihn in eine Stofftasche, die mit einem Reißverschluss verschlossen wird. Bereit zur letzten Reise, wie man so sagt.
Tür wieder auf. Nun bittet Semmler direkt zu Tisch. Darauf liegt jetzt ein nackter älterer Mann. Behutsam ordnet Assitenzärztin Anna Trofimova die Beine der Leiche. Sie ist eine zierliche Frau mit warmen Augen; es hat etwas Tröstliches, wenn nach einem womöglich schlagartig endenden Leben jemand wie sie auf einen wartet. Sie erzählt, der alte Mann habe Geld gehabt. Zwar litt er an verengten Blutgefäßen, aber sie wird sehen. Es gibt viel zu wenige Obduktionen in Deutschland, bemängelt Institutschef Semmler. Zu schnell würden Tote zur Verbrennung freigegeben, Morde nicht erkannt, „die Dunkelziffer ist hoch“. Semmler ist stolz darauf, in seiner 37-jährigen Berufszeit mehrmals Morde entdeckt zu haben – nicht nur auf dem Edelstahltisch, auch morgens in aller Frühe im Krematorium bei der obligatorischen letzten Leichenschau. „Kleine Einstiche“ verrieten die Tat, sagt Semmler, der jede Ähnlichkeit mit TV-Kollegen wie etwa Jan Josef Liefers alias Karl-Friedrich Boerne strikt von sich weist. „Lächerlich, ich sehe mir nur Krimis an, bei denen ich am Drehbuch mitgearbeitet habe.“
Zu den Aufgaben des Instituts gehören auch Alkohol- und Drogentests, Vaterschaftsgutachten, DNA-Analysen, Untersuchungen von „Kunstfehlern“ anderer Ärzte. Ein Vorteil als Staatsbetrieb ist es, „keine pekuniären Interessen“ zu haben. An vielen prominenten Fällen war Semmlers Institut beteiligt, vom Mord an der zwölfjährigen Ulrike Brandt aus Eberswalde, der 2001 das Land bewegte, bis hin zum Ludwigsfelder Bürgermeister, der nun lebenslang bekam. „Wenn Vernunftsgründe walten“, glaubt der Mann mit der roten Brille, werde sein Haus eine Zukunft haben. „Aber das weiß man in der Politik nie so genau.“
Der Vorschlag
Die Enquetekommission des Landtags zur Reform der Landesstrukturen empfahl im April, das Institut für Rechtsmedizin aufzulösen und zur Effizienzsteigerung an die Pathologie einer Klinik anzudocken, so wie es in anderen Ländern üblich ist – dort aber an Uni-Kliniken, die es in Brandenburg nicht gibt.
Die Kritik
In der Justiz ist der Aufschrei groß, auch im Ministerium. Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg warnt vor schwerwiegenden Nachwirkungen für die Strafverfolgung. Zu befürchten sei eine wachsende Zahl nicht aufgeklärter Straftaten sowie ungesühnter Todesfälle. Auch Kriminalbeamte protestieren.
Die Politik
Noch ist der Vorschlag nicht durch, er ist nur Bestandteil einer Abschlussempfehlung der Enquetekommission, die im Herbst dem Landtag vorgelegt werden soll. Am Ende könnte die Idee wieder gekippt werden. Mit der Linken lehnt auch eine Regierungsfraktion den Vorschlag ab, ebenso die oppositionelle CDU. (axf)
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