Landeshauptstadt: Stabil und uneins
SPD, CDU, Grüne und Potsdamer Demokraten führen ein reines Zweckbündnis. Immer wieder hakt es
Stand:
Vergünstigte Familientarife für Strom und Wasser bei den Stadtwerken, höhere Kita-Beiträge für Besserverdienende und möglicherweise weitere Steuererhöhungen: Das war ein Teil der Pläne, die die nach der Kommunalwahl neu gebildete Rathauskooperation aus SPD, CDU/ANW, Grünen und Potsdamer Demokraten vor einem Jahr bei einer Pressekonferenz im Rathaus vorstellte. Es war die Neuauflage eines Bündnisses, das in ähnlicher Konstellation schon vorher acht Jahre regierte – damit gebe es nun eine garantierte Grundlage, die positive Entwicklung Potsdams fortzusetzen, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) damals.
Ein Jahr später sind die vergünstigten Familientarife wie berichtet von den Stadtwerken abgelehnt worden. Die höheren Kita-Beiträge für Besserverdienende liegen vorerst auf Eis. Einzig die Steuererhöhungen kommen, für die Gewerbe- und die Grundsteuer auf Immobilien – allerdings erst im Jahr 2017 statt 2016 und nicht in dem Maße wie vorgesehen. Ebenso wurde die Zweitwohnsitzsteuer deutlich erhöht.
Gleichwohl spricht SPD-Chef Mike Schubert von einem „erfolgreichen ersten Jahr“. In Absprache mit seinen Bündnispartnern beantwortete er eine zur Jahresbilanz an die einzelnen Kooperationsfraktionen gestellte PNN-Anfrage gleich selber, Geschlossenheit soll demonstriert werden. Unter anderem habe man den Doppelhaushalt beschlossen – vor allem die CDU/ANW hatte sich dabei lange gegen Steuererhöhungen gewehrt.
Streit um Verkehrsfragen
Und Geschlossenheit gibt es speziell in der Frage, wie Potsdam seine Verkehrsprobleme lösen soll, bisher nicht – was auch Schubert einräumt: „Das Thema wird aber nicht nur in der Kooperation kontrovers diskutiert, sondern auch in allen anderen Fraktionen.“ Die CDU etwa forderte in den vergangenen Monaten immer wieder, neue Verkehrskonzepte zu prüfen, etwa einen Ring für Autofahrer um die Innenstadt oder bessere Ampelschaltungen – alles erfolglos. Die Grünen dagegen schwören auf das von ihrem Baudezernenten Matthias Klipp durchgesetzte Konzept einer „Nachhaltigen Mobilität“, das vor allem auf mehr Radwege und bessere Nahverkehrsangebote setzt. Schon mehrfach hat es nach PNN-Informationen deswegen heftig gekracht, inzwischen gibt es eine Arbeitsgruppe „Verkehr“. Schubert erklärt: „Die Kooperation sieht konkrete Maßnahmen zur Lösung der Verkehrsfrage als die zentrale Aufgabe der nächsten Monate an. Dazu werden wir in den kommenden Wochen gemeinsam einen Vorschlag erarbeiten.“ Ein von der Kooperation in ihrem Bündnisvertrag angekündigtes Lkw-Führungskonzept steht dabei ebenso noch aus wie die geplante Prüfung eines Bürgertickets für den Nahverkehr, bei dem die Potsdamer einen Grundbetrag zahlen müssten, damit alle ohne Fahrschein Bus und Bahnen nutzen können.
Speziell die von Klipp geplante Verengung der Zeppelinstraße für Autofahrer hat den Druck weiter erhöht, der Dezernent will pro Tag 5000 Autos weniger in der luftverschmutzten Verkehrsader fahren sehen. Doch die Pläne liegen ebenso auf Eis, weil die Kooperation – da war man sich wiederum relativ einig – bisher zu wenig Alternativen sieht, speziell für die Pendler aus den Umlandgemeinden, die auf die Straße angewiesen sind. Schubert: „Es gibt dabei einen Konsens – nämlich, dass die Schadstoffgrenzwerte eingehalten werden müssen. Wie dieses Ziel am effektivsten und für die Potsdamer sowie unsere Nachbarn akzeptabel erreicht wird, darum ringen wir noch.“
Dezernentenwahlen in zwei Jahren
Sowieso: Klipp. Mit seinem häufig allzu nassforschen Auftreten hat er selbst bei seinen Parteifreunden mehrfach für Verärgerung gesorgt, zusätzlich setzen ihn die Schlagzeilen über sein zu groß gebautes Eigenheim am Jungfernsee unter Druck. Seine Wiederwahl stünde in zwei Jahren an, er selbst will eine weitere Amtszeit. Doch die Reaktion darauf fällt bisher kühl aus – entschieden werde nach Bewerberlage, so Schubert.
Auch eine weitere Personalie wird noch für Debatten sorgen: 2017 wird auch der Posten des Kultur- und Bildungsbeigeordneten frei, die bisherige, im Rathaus für ihr zögerliches Agieren vielfach gescholtene Dezernentin Iris Jana Magdowski (CDU) wird nach PNN-Informationen nicht noch einmal antreten. Welche Fraktion den Zugriff auf das Amt hat, lässt der Kooperationsvertrag offen. Schubert erklärt: „Wir werden rechtzeitig ein gemeinsames Verfahren vereinbaren.“
Auffällig ist, dass aus dem Kooperationsvertrag viele Punkte – etwa zum beschlossenen Doppelhaushalt – abgearbeitet sind. Doch ein neuer Vertrag müsse nicht abgeschlossen werden, so Schubert. Unter anderem steht noch ein geplantes Bürgervotum zu einem möglichen Zwangseintritt in den Park Sanssouci auf der Agenda, das im kommenden Jahr eingeholt werden soll. Ebenso wolle man sich im Herbst der Zukunft des Lustgartens widmen – und damit der Frage, wie mit dem Hotel Mercure verfahren werden soll. In ihrem Vertrag hat sich die Kooperation für eine in Bezug auf die städtischen Finanzen „kostenneutrale Lösung“ ausgesprochen, aber auch einen Abriss nicht ausgeschlossen. Überhaupt sind die finanziellen Gestaltungsspielräume eng – jedes neue geldwerte Projekt steht laut Vertrag unter dem Vorbehalt, dass durch Erhöhung der Ausgaben oder Senkung der Einnahmen die Umsetzung des mehr als 160 Millionen Euro schweren Schulbau- und -sanierungsprogramms nicht gefährdet werden darf. Dass es Ausnahmen gibt, bewies zuletzt etwa die 100 000 Euro schwere Förderung zur Rettung des Mitmachmuseums „Extavium“, für das sich insbesondere die Grünen eingesetzt hatten.
Wie lange gibt es das Bündnis noch?
So gibt es immer wieder Punkte, in denen Partner aus der Kooperation auch Zugeständnisse bekommen – machtpolitisch aus gutem Grund. Schon vor einem Jahr hatte Oberbürgermeister Jakobs erklärt, ein stabiles Bündnis im Stadtparlament sei nötig für verlässliche Entscheidungen: „Ich will nicht, dass von Sitzung zu Sitzung immer grundsätzlich neu über Positionen gerungen werden muss.“ Und tatsächlich: Bei vielen wichtigen Abstimmungen im Stadtparlament stand die Kooperationsmehrheit – von einzelnen Punkten wie den höheren Kita-Beiträgen für Besserverdienende, die die CDU/ANW gegen ihre Partner und zusammen mit der Linken zuletzt zurück in die beratenden Fachausschüsse schickte, einmal abgesehen. Und trotz aller Streitigkeiten: Ein Ende des Bündnisses zieht derzeit keiner der Partner ernsthaft in Erwägung – bei der SPD zum Beispiel schon deshalb, weil eine Koalition mit der Linken unter ihrem Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg als ausgeschlossen gilt.
Neu verhandelt wird aber womöglich 2018, wenn die Oberbürgermeisterwahl ansteht. Obwohl sie es mit dem neuen Wahlgesetz theoretisch könnten, gilt es nach Einschätzung von Parteifreunden als wahrscheinlich, dass sowohl Scharfenberg als auch Jakobs nach vielen Jahren Stadtpolitik nicht noch einmal antreten, womöglich sogar außerhalb Potsdams Kandidaten gesucht werden. Sind die beiden politischen Alphatiere Jakobs und Scharfenberg – sie selbst haben sich zu ihren Zukunftsplänen noch nicht konkret geäußert – erst einmal weg von der politischen Bühne, könnten sich in dem entstehenden Machtvakuum ganz neue Konstellationen ergeben, auch jenseits der Rathauskooperation.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: