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Landeshauptstadt: Stadt lässt Steuersündern die Luft raus
Verwaltungsrechtler hält den in Potsdam praktizierten Einsatz von Ventilwächtern für rechtswidrig
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Kleiner Aufsatz, große Wirkung: Sogenannte Ventilwächter auf dem Reifenventil an Autos sorgen nach ein paar Hundert Metern Fahrt für einen Plattfuß. Diese Wegfahrsperren setzt die Stadtverwaltung seit Jahren vereinzelt ein, um notorische Steuer- oder Gebührensünder zum Bezahlen zu zwingen. Rund 350 andere Kommunen in Deutschland tun das auch. Nun mehren sich die kritischen Stimmen.
So sagte der Verwaltungsrechtler Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam den PNN auf Anfrage, er halte den Einsatz von Ventilwächtern „für unverhältnismäßig und rechtswidrig“. Die Stadt müsse die Verhältnismäßigkeit der Mittel beachten – ob diese im Fall der Ventilwächter gewahrt bleibe, sei fraglich. Denn erst nach einer Weile sei der Reifen eines betroffenen Autos vollständig geplättet, das Fahrzeug dann unlenkbar. Damit aber drohe ein schwerer Unfall. „Steuerforderungen dürfen nicht um den Preis von Verkehrsunfällen durchgesetzt werden“, sagte Schmidt. Stattdessen könnte die Stadtverwaltung auch Parkkrallen einsetzen. Auch damit würde die Benutzung eines Fahrzeugs wirksam verhindert, so Schmidt – ganz ohne Unfallgefahr.
Die Stadtverwaltung verteidigt ihr Vorgehen. Der Einsatz von Ventilwächtern sei laut Stadtsprecher Markus Klier das letzte Mittel, wenn andere Versuche der Vollstreckung oder der Kontaktaufnahme mit einem Schuldner gescheitert seien – unter anderem gehe es um nicht bezahlte Gebühren, Bußgelder, aber auch nicht bezahlte Steuern. So hätten die Vollstreckungsbeamten der Stadt allein im vergangenen Jahr knapp 20 000 Forderungen verschickt – mit einem Gesamtvolumen von 8,7 Millionen Euro. Zum Vergleich seien die Ventilwächter in den Jahren 2010 und 2011 je dreimal, im vergangenen Jahr sechs Mal und in diesem Jahr bereits an fünf Fahrzeugen verwendet worden. Ingesamt verfüge die Stadt Potsdam über 20 solcher Aufsätze. In der Praxis werden sie auf die Ventile der Vorderräder geschraubt und dann abgeschlossen. Nach 500 Metern Fahrt oder mehr als 15 Stundenkilometern Tempo ist die Luft aus dem Reifen raus. Das Auto fährt nur noch auf der Felge.
Die Summe, die mithilfe der Ventilwächter eingetrieben wurde, werde statistisch nicht erfasst, hieß es weiter. Denn laut Klier sei die Pfändung von Kraftfahrzeugen und gegebenenfalls der Einsatz von Ventilwächtern nicht von der Höhe eines geschuldeten Betrags abhängig. Es sei in Potsdam auch noch keine Unfall nach dem Einsatz eines Ventilwächters bekannt geworden, so der Stadtsprecher weiter – und es lägen auch keine Klagen von betroffenen Autofahrern vor.
Die Frage der juristischen Haftung nach einem Unfall durch Ventilwächter sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, so Verwaltungsrechtler Schmidt. Grundsätzlich sei zwar jeder Fahrer selbst verantwortlich, wenn er einen Unfall verursacht – ein Mitverschulden der Verwaltung, die einen Ventilwächter aufgeschraubt hat, könne aber nicht ausgeschlossen werden, so Schmidt: „Wenn der Einsatz von Ventilwächtern zu einem Unfall führt, drohen erhebliche Schadensersatzansprüche gegen die Stadt.“
Auch der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) kritisiert die in Potsdam und anderswo in Brandenburg – etwa in Frankfurt (Oder), Wriezen und Seelow – übliche Praxis. So könnten die von den Kommunalverwaltungen an die Windschutzscheibe der betroffenen Autos geklebten grellen Warnhinweiszettel beim Einsatz der Ventilwächter von Fremden entfernt oder vom Wind weggeweht werden. „Wenn diese Hinweise aus irgendeinem Grund verschwinden, könnten die kleinen Ventilwächter übersehen werden“, sagte Izabela Grzywacz, Sprecherin beim ADAC Berlin-Brandenburg. Dadurch könnten die Autos im schlimmsten Fall auch auf einer viel befahrenen Kreuzung liegenbleiben – mit allen Folgen für die Verkehrssicherheit.
Auch die FDP ist mittlerweile aktiv geworden – die Potsdamer Landtagsabgeordnete Linda Teuteberg will in einer kleinen Anfrage an die rot-rote Landesregierung wissen, was diese unternimmt, „um den gefährlichen Einsatz von Ventilwächtern auszuschließen oder einzudämmen.“ Eine Antwort auf die Frage der liberalen Abgeordneten steht noch aus.
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