Landeshauptstadt: Stadtgesicht ohne Nase
Bürgerbefragung zum Stadtschloss ja – aber wie? Architektursoziologe warnt vor historischem Aufbau
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Potsdam fehlt die Nase im Gesicht. Der Mittelpunkt im Stadtbild oder der richtige Riecher für das barocke Gesamtensemble? Beides, wenn es nach dem Architektursoziologen Werner Sewing geht. Der Dozent an der TU Berlin sowie an der Universität der Künste warnte Oberbürgermeister Jann Jakobs am Dienstagabend vor einem Wiederaufbau des Stadtschlosses in der Mitte der Landeshauptstadt: „Potsdam sollte nicht allein auf Lange Kerls und Tourismus setzen, die Stadt hat mehr zu bieten.“ Sewing war einer der Gäste in der RBB-Sendung „Klipp und Klar“, die zweierlei deutlich gezeigt hat: Zunächst, dass die Mobilität der Gegner eines Landtags am Alten Markt enorm ist, deren Drang, sich ins Bild zu setzen, kaum zu stoppen. Außerdem, dass ein Konsens unter den Potsdamern über eine mögliche Bebauung und deren Art weit entfernt scheint.
Doch genau darüber, welche Nase die Landeshauptstadt bekommen soll, könnten in den nächsten Wochen die Potsdamer entscheiden. Eine Bürgerbefragung ist angestrebt, ein seit Jahren von der Linkspartei.PDS gefordertes Instrument der Legitimierung – oder auch der Abwehr – der Landtagsplanungen am Alten Markt. Inzwischen wollen auch andere Parteien eine Befragung, doch gestritten wird zunächst weiter: Wann und wonach sollen die Potsdamer eigentlich gefragt werden? Das soll nach PNN-Informationen nun eine „Konsensgruppe“ klären, die sich beim Oberbürgermeister trifft und wahrscheinlich aus den Chefs der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung besteht. Zustimmung zu einer Bürgerbefragung gibt es von Linkspartei.PDS, der Fraktion Die Andere, der SPD, den Grünen mit Einschränkungen und wohl auch der CDU – abgelehnt wird die Befragung von der Familienpartei. Als positives Signal bewertete gestern die SPD, dass Linkspartei-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg bereits öffentlich Signale gesendet habe, im Falle der Befragung auf die Möglichkeit der Sanierung des Brauhausberges zu verzichten. Denn Scharfenberg bevorzugt bekanntlich einen Landtag auf dem Areal des einstigen Palastes Barbarini an der Alten Fahrt – getreu eines seit Jahren bestehenden Beschlusses der PDS-Landtagsfraktion.
Wie sich die Gegner einer Bebauung mobilisieren, hat der Talk im Kutschstallhof deutlich gemacht: Die Schlossgegner waren in der Mehrzahl, die Befürworter in der Minderheit. Dass es so auch bei einer angestrebten Bürgerbefragung aller wahlberechtigter Potsdamer sein könnte, treibt einigen Sozialdemokraten Schweiß auf die Stirn. Sie befürchten, dass Scharfenberg als Gegner des Landtages auf dem Schlossgrundriss seine Anhänger eher mobilisieren kann als SPD und CDU die Befürworter eines Landtages in der Mitte.
Einen Original-Wiederaufbau des Schlosses wünscht sich Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen natürlich. Und wenn schon nicht das Original, dann wenigstens mehr als einen Landtag: es müsste ein Multifunktionsbau für die Bevölkerung errichtet werden, so der Prinz von Preußen. Die Bürgerzustimmung für eine Bebauung sei dabei aber das Wichtigste. Architektursoziologe Sewing argumentiert, das Schloss habe eine andere städtebauliche Funktion gehabt als ein Haus an einem Platz zu sein. Es mache daher wenig Sinn, das einstige Königshaus wieder aufzubauen, aber die Umgebung nicht im historischen Rahmen darzustellen. Daher sollte ein Preußischer Themenpark mit Schloss und davor marschierenden Langen Kerls vermieden werden.
Nicht alles in der Innenstadt soll historisch bebaut werden, jedoch in den früheren Grundzügen des Stadtbildes, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Er mahnte, das Land habe der Stadt nach den beiden gescheiterten Versuchen, einen Bebauungsplan für das Landtagsschloss auszulegen, eine Phase der Besinnung eingeräumt. Diese würde jedoch nicht endlos dauern. Er hofft weiter auf den Bau durch das Land, seiner Ansicht nach eine Initialzündung für private Investoren, die laut Jakobs allein zwischen Alter Fahrt und Straße Am Kanal in den nächsten Jahren eine halbe Milliarde Euro investieren sollen. Doch dazu bedarf es des Startschusses durch Stadt und Land, einer Art „Ankerinvestition“, so Jakobs. Er plädierte für die Bürgerbefragung und kritisierte im selben Atemzug: „Wir reden in Potsdam immer viel über Projekte.“ Doch fehle dabei der wichtigste Schritt: „Der Anfang“.
Eine Diskussion zum Thema Landtagsneubau auf dem Schlossgrundstück findet heute Abend ab 18 Uhr im Alten Rathaus, Clubraum im 1. Obergeschoss, statt. Gäste werden Minister Rainer Speer, Landtagspräsident Gunter Fritsch und Oberbürgermeister Jann Jakobs (alle SPD) sein. Es ist eine Veranstaltung im Rahmen des 27. Stadt Forums.
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