Sport: Star der Boy-Group
Tim Lobinger zieht die Blicke des Publikums auf sich, egal wie hoch er springt. Sein Preis ist hoch, doch ohne ihn geht es nicht
Stand:
Tim Lobinger zieht die Blicke des Publikums auf sich, egal wie hoch er springt. Sein Preis ist hoch, doch ohne ihn geht es nicht Von Jan Brunzlow Ganze dreißig Zentimeter Einkaufscenterluft standen zwischen der blonden Anja und ihrem Lieblingsleichtathleten. Der saß mit gebundenem Zopf neben dem mobilen Laufsteg, dicht am Publikum, dicht an der Shoppingmeile, dicht am Geschehen. Laute Musik schrie Tim Lobinger an diesem Abend aus den Boxen entgegen, Zuschauer klatschten im Rhythmus des Anlaufs und sie tuschelten hinter dem Rücken der Athleten. Die Privatsphäre der Stabhochspringer – sie blieb am Nachmittag im Hotelzimmer. Hier, zwischen Supermärkten, Eisstand und Reisebüro war kein Platz für Dinge, die keiner wissen soll. Selbst das kleinste Haar auf den frisch rasierten Beinen der deutschen Stabhochspringer wäre zu erkennen gewesen, hätte es eines gegeben. Aber: „Frisch rasierte Beine sind einfach geiler“, sagt beispielsweise Lobinger über das Hobby der springenden Boy- Group vor einem Wettkampf. Es sehe besser aus, sei ästhetischer und fühle sich vor allem besser an. Nur Björn Otto, der Springer von Uerdingen/Dormagen, der die diesjährige Hallenrangliste mit 5,70 Meter anführt, hat noch einen anderen Grund den Ladyshave über die Beine zu schwingen: Bei rasierten Beinen merke er den Wind während eines Wettkampfes nicht so stark und könne sich besser auf den Sprung konzentrieren. Und was ist die beste Methode? Ganz klar, die Nassrasur. Unterdessen trinkt Lobinger ein Schluck aus seiner Flasche, spricht ab und an mit Zuschauern und absolviert zwischendurch immer mal einen seiner sechs Sprünge innerhalb von vier Stunden an diesem Einkaufsabend im Stern-Center. Entspannt kommt er aus dem Wettkampf, er hatte Zeit sich auch noch um andere Dinge zu kümmern. Fußball zum Beispiel, denn der erste deutsche Sechsmeterspringer ist Ehrenmitglied des 1. FC Köln – und sein Team hat bekanntlich am Samstag auf dem Betzenberg verloren. „Gegen Kaiserslautern “, der Hallenweltmeister greift sich mit weit reichenden Gesten an den Kopf. Das Bundesligaergebnis ist für ihn ein Grund sich zu ärgern. Denn sein Team steht nun wieder auf einem Abstiegsrang. Das bewegt ihn augenscheinlich mehr, als seine Leistung von 5,50 Meter an diesem Tag. „Nein, nein“, sagt er nach langem Zögern, „meine Leistung heute ärgert mich schon mehr“, obwohl er mit dem offiziellen Wettkampf zufrieden war. Solche kleinen Einlagen wie das Gestikulieren oder der Trash-Talk mit der Videokamera nach einem Sprung von Tye Harvey gehören zum Auftritt des zweifachen Hallen- Europameisters. Es ist ein Teil seiner Show. Denn obwohl elf Springer an der Anlage sitzen, knapp die Hälfte davon sprang am Samstag höher als Lobinger, richten sich die Blicke auf den Star der deutschen Leichtathletik. Er schreibt Autogramme, er lässt sich fotografieren, er gibt Interviews. Der niederländische Meister Rens Blom oder Deutschlands momentan bester Springer Björn Otto schauen dagegen dem Treiben zu. Auch Denis Jeremenko, der immerhin den Wettkampf mit 5,70 Meter gewann (siehe Kasten), gerät dabei in den Hintergrund. Auf Lobingers Bühne hat nur einer Platz. Und der kann sich verkaufen. Teuer. Der Preis für ihn ist hoch, sagt auch der Geschäftsführer der veranstaltenden SC Potsdam sportconsulting GmbH, Toni Rieger. Doch ohne ihn würde die Halle wohl nur halb so voll sein. Die Tagesgage für Lobinger liegt bei einem mittleren vierstelligen Betrag – geschätzt, denn bestätigen will das keiner. Über Zahlen spricht man nicht so gerne, nur Werte werden genannt. „Tim verdient hier am meisten“, sagt auch Manager Marc Osenberg. Denn er hat Titel, ein Björn Otto, der international noch nicht auf sich aufmerksam machte, könne derartige Preise nicht erzielen. Auch ein Tye Harvey, der zwar den Meetingrekord in Potsdam hält (5,85 Meter), sinke seit zwei Jahren im Wert. Die Erfolge fehlen. Und am Samstag fehlte einer mit Erfolg. Michael Stolle, ebenfalls Meetingrekordinhaber, sagte den Wettkampf verletzungsbedingt kurzfristig ab. Das heißt Einnahmeverlust auf seiten Osenbergs, Einsparung auf seiten des Veranstalters – Stolle war immerhin Olympiateilnehmer und machte sich mit seinem Salto vom ViP-Bereich auf die Stabsprunganlage in Potsdam unvergesslich. Lobinger, der nach seinem Blinddarmdurchbruch in diesem Winter das erste Mal eine Nacht im Krankenhaus verbrachte und seit einiger Zeit eine andere Begleiterin als seine Frau an seiner Seite wähnt, musste zuletzt ein paar Tiefschläge abseits der Sprunganlage einstecken. Umso erfreulicher fand er, einen guten Wettkampf abgeliefert zu haben. Auch wenn sich das für die 5000 Zuschauer am Samstag nicht in der Höhe wiederspiegelte. „Der Fortschritt ist wichtiger“, sagte der Kölner. Und: „Sprünge stehen und fallen mit dem Anlauf, und der war heute schon sehr dynamisch“. Zwischen den Gesprächen mit Journalisten schreibt er immer wieder Autogramme auf kleine Zettelchen oder auf Postkarten mit nackten Hinterteilen, die ein paar Jugendliche dem extrovertierten Springer hinhalten. Während er ihnen kurz die Regeln erläutert, erklären sie ihm, wie man sechs Meter überspringt – an der virtuellen Anlage in ihrem Computerspiel am Schreibtisch daheim. In der Realität hängen die Leistungen deutscher Stabhochspringer bei wichtigen internationalen Wettkämpfen der vergangenen beiden Jahre in Zehnerschritten unter den sechs Metern. Die Regeln haben sich verändert, Lobingers Ansicht nach zu Ungunsten der Athleten. Das Ergebnis seien die jetzigen Sprunghöhen. Da wurden schonmal die Forderung nach neuen Bestenlisten laut, denn die Auflagefläche der Träger, auf denen die Latte liegt, hat sich nahezu halbiert. Und auch die Latte kann seit einem Jahr schneller fallen und darf nicht wie früher mit den Händen berührt werden. Doch so einfach lassen sich die Leistungen von Lobinger & Co. nicht erklären. Das weiß auch der Star selbst, „aber in diesem Jahr bin ich auf dem Weg zu sechs Metern. Oder fünffünfundneunzig“. Die Hallensaison selbst sieht er nicht als Maßstab, „ich habe da alles erreicht, was es zu erreichen gibt“. Seine Konzentration liegt auf dem Sommer, die Olympischen Spiele sind das erklärte Ziel. Dass er nicht für den Europacup in Leipzig nominiert wurde, kommentiert er mit „da muss ich nicht springen“. Zeit, sich am kommenden Samstag dem Bundesligaspiel Köln gegen Schalke zuzuwenden. So ist Lobinger, der Showman, das ungeliebte Kind in der Leichtathletikbranche. Macht er den Mund auf, erklärt sich, hallt es aus allen Ecken Widerworte. Das war so während der Weltmeisterschaft in Paris, als er das gemeinsame DLV-Trainingslager in Kienbaum kritisierte. Und das war auch so, als er die Strukturen im DLV mit seinen Worten beschrieb. Doch am Ende behielt er jeweils recht, verbiegen lässt er sich nicht. Für ihn zählt Ehrlichkeit. Vor einem Jahr wurde er beinahe ein Potsdamer. Zumindest nannte er einem Trio rund um den SC Potsdam seinen Preis. Aufgebracht werden konnte die Summe nicht, und der SCP wollte sich an dem Geschäft nicht beteiligen. Einen Teil seines Herzens hat er aber an Potsdam verloren. „Das Publikum hier ist angenehm, eine Mischung aus fachkundig und sportbegeistert“. Er habe heute das Gefühl bekommen, dass Sport schön ist. Das ist nicht immer so bei Auftritten in Deutschland, wo er oft als der Lobinger abgestempelt wird. Im Ausland genieße er einen besseren Ruf, „dort bin ich der Hallenweltmeister“, sagt er. Am Samstag gab er dennoch Potsdam den Vorzug vor Sheffield. Der Grund? Sein Blick zeigt es: Er schaut durch das Einkaufscenter, deutet auf die Zuschauer, stehend auf drei Ebenen, und hört das Klatschen. Es war alles für ihn, auch wenn noch zehn weitere Springer an der Anlage stehen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: