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Steht die Wahrheit in den Akten? Der Büro-Sacharbeiter Dirk Magaschütz ordnet Akten im Staatssicherheits-Archiv der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Berlin.

© Tom Maelsa (dpa)

Von Guido Berg: Stasi-Überprüfung der neuen Stadtverordneten

Mehrheit für Bündnisgrünen-Antrag / Die Andere forderte Ausweitung auf alle Geheimdienste und sorgte für hitzige Debatte

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19 Jahre nach der Besetzung der Potsdamer Zentrale der DDR-Staatssicherheit durch Bürgerrechtler sorgt die Stasi-Thematik noch immer für hoch emotionale Debatten in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung: Mit mehreren Enthaltungen und drei Nein-Stimmen aus den Reihen der Linksfraktion nahm das Stadtparlament am Mittwochabend einen Bündnisgrünen-Antrag auf Stasi-Überprüfung der neuen Stadtverordneten an. Der DDR- Geheimdienst stand für „Aktivitäten gegen das eigene Volk“, eine „differenzierte Aufarbeitung der Geschichte“ ist nötig, erklärte Saskia Hüneke (Bündnisgrüne). Zugestimmt hat dem Antrag auch Pete Heuer (Die Linke). Innerparteilich müsse jeder Linke eine Stasi-Zusammenarbeit vor Mandatsübernahme mitteilen. Die Linkspartei sei „innerparteilich schon weiter, als wir mit der Stimmenthaltung ausgedrückt haben“, so Heuer.

Für Kontroversen im Stadthaus-Saal sorgte jedoch weniger die Stasi-Überprüfung der vor dem 31. August 1971 geborenen Stadtverordneten, die dem Stadtparlament bislang nicht angehörten und deshalb durch die Stasi-Unterlagenbehörde auch noch nicht überprüft wurden. Verständniswelten prallten vielmehr aufeinander, als Lutz Boede für Die Andere in einem Änderungsantrag die Überprüfung aller Stadtverordneten „generell auf Geheimdiensttätigkeit“ forderte. Die Stasi habe „Vertrauen missbraucht und Leute ohne ihr Wissen ausspioniert“, so Boede: „Das gilt für alle Geheimdienste.“ Er kenne dutzende Fälle, wo junge Menschen vom Verfassungsschutz angesprochen worden sind, „um im Freundeskreis herumzuschnüffeln“, sagte er gestern den PNN. Das finde er „unappetitlich“.

Sollte es aber weniger um die auch heute üblichen Geheimdienstmethoden gehen, sondern um die Rolle, die die Stasi in der DDR gespielt habe, „dann sollte auch nach anderen Funktionen in der DDR überprüft werden“, so Boede.

Als „peinlich“ und „Tiefpunkt“ der Debatte bezeichnete Till Meyer (SPD) die „Gleichsetzung von Demokratie und totalitärem Regime“. „Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass man das gleichsetzt“, empörte sich auch Bürgermeister Burkhard Exner (SPD). Darauf Boede: Als rehabilitiertes Stasi-Opfer brauche er sich keine Belehrungen über Demokratie anhören. Der Stasi-Überprüfungsantrag diene der „Delegitimierung der DDR-Zeit“. Lutz Boede war nach eigener Auskunft acht Monate lang Häftling in Stasi-Gefängnissen, darunter vier Monate in der Potsdamer Lindenstraße 54.

Es sei bewiesen, dass „auch heute Geheimdienste Leute ohne jede Beweislage aus ihrem sozialen Gefüge reißen und in Gefängnisse stecken, die sich in anderen Regionen der Welt befinden“, setzte Jens Gruschka (Die Linke) die Debatte fort – eine Anspielung auf das US-Militärgefängnis in der Guantanamo-Bucht auf Kuba. Peter Schultheiß (CDU) erinnerte daraufhin an „das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei“. Nur die Polizei darf Verhaftungen vornehmen, so Schultheiß, der jedoch ergänzte: „Wir sprechen nicht über die CIA“, einen US-Geheimdienst, „sondern über den deutschen Bereich“. Nach erfolgreichem Antrag Christian Seidels (SPD) auf Ende der Debatte wurde Boedes Ergänzung abgelehnt.

Dem Antrag der Bündnisgrünen zufolge werde ein nichtöffentliches Stadtverordneten-Gremium bei Nachweisen von früheren Stasi-Tätigkeiten von Stadtverordneten eine Einzelfall-Prüfung vornehmen und eine Empfehlung über Mandatsverzicht oder Beibehaltung aussprechen. Bei den gegenwärtigen Stadtverordneten ist bislang eine informelle Stasi-Mitarbeit von Hans-Jürgen Scharfenberg und Rolf Kutzmutz (beide Die Linke) bekannt. Bei beiden hatten frühere Stadtverordneten-Gremien die Mandatsbeibehaltung empfohlen. Scharfenberg hatte die Stasi-Zusammenarbeit bereits Mitte der 80er Jahre selbst beendet, weil er „nicht geeignet“ sei, Menschen auszuhorchen, sagte er den PNN gestern. Die Stasi-Akte von Kutzmutz war 1993 nur wenige Tage vor den Potsdamer Oberbürgermeisterwahlen aufgetaucht, bei der Kutzmutz für die PDS kandidierte. Daraufhin legte Kutzmutz seine Akte öffentlich aus. Wie sich herausstellte, hatte er als junger Mann der Stasi etwa darüber berichtet, dass es der Winterbereitschaft im Wasserwerk an geeigneter Arbeitsbekleidung fehle.

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