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MITgefühlt: Stilvolle Mehrheit

Die kleine Helena mit ihren 14 Monaten und ihrem blauen Hosenanzug – auf Deutsch Jumpsuit – war dabei. Sie hat die Raspel bedient.

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Die kleine Helena mit ihren 14 Monaten und ihrem blauen Hosenanzug – auf Deutsch Jumpsuit – war dabei. Sie hat die Raspel bedient. Die Frau mit den roten Haaren und dem ebenso roten Rock erklärt, wie Medienberichten zufolge quasi Helm und Ritterausrüstung erforderlich gewesen wären, so groß sollte angeblich die Gefahr gewaltiger Ausschreitungen sein. Aber die kleine Helena ist unbekümmert geblieben. Wie ihre Mutter sagt: „Kinder sollen so früh wie möglich lernen, was Engagement bedeutet.“ Die Oma nickt, auf ihrem Schoß ruht jetzt die Plakette: „Abriss überprüfen“, und auf der Brust funkelt der Aufkleber: „Bezahlbarer Wohnraum ist die halbe Miete“. Die Sonne scheint und ein Pärchen in den besten Jahren verlässt die Menge. Ich möchte auch in 20 Jahren Händchen haltend mit einem fröhlichen Lächeln in Gesicht einen solchen „Tat-Ort“ verlassen. Schmelzen Sie nicht auch dahin bei diesem Gedanken?

Orte des Engagements gibt es in Potsdam genug. Vorgestern erklärte mir ein Freund aus Nigeria an der Tramhaltestelle, dass es früher auf dem Platz der Einheit nur Wiese ohne Pfädchen gab, auch keine Galerie, dass Spazierende sich kaum trauten, durchzulaufen, und dass es im Vergleich zum heutigen Einkaufzentrum nur einen winzigen Bahnhof gab, der nur „von hier bis dort reichte“. „Wir haben die Stadt mitgebaut“, erklärt er stolz.

Am Abend werden Vorbeigehende von einem anderen Zauber erfasst. Potsdam steht still. Plötzlich wird an der fröhlichen Stimmung das Ergebnis erkennbar. Die Elf hat zumindest nicht verloren, wahrscheinlich gewonnen. Die allgemeine Stimmung ist für den Fußball ein sicherer Indikator als der Wetterfrosch über himmlische Laune. Bitte entschuldigen Sie, habe ich das „F-Wort“ ausgesprochen? Für alle, die sich körperlichen Einsatz woanders wünschen als vor dem Fernseher bei einer eleganten Zuschauerwelle – auf Deutsch La Ola –, gibt es diese Woche zahlreiche Möglichkeiten, sich zu engagieren. Hier nur eine Kostprobe: Am Donnerstag war der Weltblutspendetag, am Samstag ist der Internationale Tag des Afrikanischen Kindes und am Sonntag der Weltwüstentag.

Beim Bummeln auf der Straße ist mir nur eines aufgefallen. Bei allen bissigen, hämischen, zornigen Bemerkungen und Witzen über deutsche Pünktlichkeit und verirrte, vergessene chinesische Fluggäste wird der BER für eine Besonderheit in die Geschichte eingehen: Beim Bau des internationalen Flughafens, der den Namen des ehemaligen Flüchtlings Willy Brandt trägt, war eine der ersten Einrichtungen, die geradezu plangemäß fertig wurde, das Abschiebegefängnis. Ob als Alternativstandort auch die Freundschaftsinsel zur Debatte stand?

Marianne Ballé Moudoumbou wohnt in Potsdam und arbeitet als Diplom-Dolmetscherin. Ende 2010 wurde sie von rund einer Million Berliner und Brandenburger mit Migrationsgeschichte stellvertretend gewählt, um die Interessen der Gesellschaft im RBB-Rundfunkrat zu vertreten.

Marianne Ballé Moudoumbou

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