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Homepage: Störfeuer zum Uni-Geburtstag
„Ehemalige“ der Universität Potsdam kritisieren mangelnde Diktatur-Aufarbeitung
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Fehlentwicklungen und Defizite bei der Aufarbeitung der Vergangenheit an der Universität Potsdam kritisieren die Gründer ehemaligen „Initiative Hochschulerneuerung von innen“ Frank-Rüdiger Halt und Ulrich Baumann. „Sie nannten uns Kopfjäger“, sagt Halt auf einem Treffen im Hotel Cecilienhof. Baumann erklärt, dass die Initiativgruppe damals entstanden sei, weil es in den Jahren bis 1995 keine Stasi-Überprüfung an der Uni gegeben habe. In vielen Bereichen hätten sich die „Altlasten“ über viele Jahre halten können.
Es ist nicht das erste Mal, dass die „Ehemaligen“ den Finger in die Wunde legen. In diesem Jahr, in dem die Universität Potsdam ihr 20. Jubiläum feiert, gleichen ihre Angriffe einem Geburtstags-Störfeuer. Mit dem Ex-DDR-Forscher der FU Berlin und jetzigen Wissenschaftler beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Helmut Müller-Enbergs hatten die Veranstalter einen kompetenten Referenten als Schützenhilfe engagiert. Weitere Vorträge kamen von Ex-Staatssekretär Stefan Hilsberg (SPD) sowie von den Professoren Helmut Assing und Ludwig Baumann.
Das Land Brandenburg ist „die wichtigste Stasi-Spitze“ in den neuen Bundesländern, sagt Frank-Rüdiger Halt und zeigt eine Namensliste belasteter Mitarbeiter der Polizei. „Egal, wohin Sie in Potsdam gehen, Sie müssen damit rechnen, auf Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu treffen.“ In diesem Umfeld sei die Universität aus drei Einrichtungen – neben der Pädagogischen Hochschule (PH) „Karl Liebknecht“, der Stasi-Hochschule in Golm und der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg – entstanden. Es seien zahlreiche Hochschullehrer übernommen worden, allein aus Golm 59. Gründungsrektor Rolf Mitzner habe seine zwei Wunsch-Prorektoren selbst ernannt, einer davon war laut Halt inoffiziell für das MfS tätig. Müller-Enbergs verweist auf das „Problem“ nach der Wende: Wohin mit 91 000 hauptamtlichen und 189 000 inoffiziellen MfS-Mitarbeitern (IM)? Viele seien in den öffentlichen Dienst und in die Parteien gewechselt.
Ein Teilnehmer des Treffens war Joachim Nitschmann. Der bekannte Zoologe, der mit über 80 Jahren noch Vorlesungen über Embryologie und Bienenkunde an der Universität hält, verweist gegenüber den PNN auf seine Stasi-Akte. Von den zahlreichen IM-Tarnnamen konnte er vier Klarnamen erfahren, zwei gehören zu eigenen Mitarbeitern, die mit seiner Unterstützung promoviert hatten. Nitschmann stand als Mitglied der DDR-CDU und bekennender Katholik im Fokus des MfS.
Der Historiker und Mathematiker Helmut Assing, laut Baumann als „kritischer Geist“ an der Pädagogischen Hochschule bekannt, verweist darauf, dass es insbesondere ab 1988 eine „Opposition von innen“, zu der er sich selbst zählt, gegeben habe. Assing, der nach eigener Auskunft kurze Zeit hauptamtlicher Vorsitzender der Hochschulgewerkschaftsleitung (FDGB) war, hält das rote SED-Parteistatut hoch und sagt: „Die Genossen haben die Rechte, die sie laut Statut hatten, nicht eingefordert“. Er habe das mehrfach getan und daraufhin seien IMs auf ihn angesetzt worden. Assing erwähnt den denkwürdigen Umstand, dass der für die PH zuständige MfS-Offizier Bernd Grimmer einige Passagen aus den IM-Berichten über ihn gestrichen und ihn dadurch vor einer Freiheitsstrafe bewahrt habe.
Ludwig Brehmer, emeritierter Physik-Professor, macht deutlich, welch existentiellen Druck die Hochschulleitung auf manche Mitarbeiter ausübte. Er erzählt, dass er als Student in Greifswald zweieinhalb Jahre aus politischen Gründen „im Zuchthaus“ sitzen musste. Als Doktorand an der PH wollte der damalige Rektor seine Promotion verhindern, weil Brehmer sich weigerte, in die Kampfgruppe einzutreten. „Drangsalierung und Bespitzelung waren enorm“, sagt er.
Laut Brehmer wäre die Gründung einer neuen Universität der bessere Weg gewesen, „denn nur ganz wenigen wurde gekündigt“. Einen zusätzlichen Konflikt hätten die zahlreichen Neuberufungen aus dem Westen hervorgerufen. „Das führte zu Frustrationen, besonders im akademischen Mittelbau.“ Der „alte Geist“ sei heute weitgehend verflogen, sagt Frank-Rüdiger Halt auf PNN-Nachfrage. Allenfalls zwölf belastete Mitarbeiter seien noch tätig. Günter Schenke
Günter Schenke
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