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Steffi Pyanoe.

© A. Klaer

Kolumne PYAnissimo: Der schöne Potsdamer Sommer: Stoßgebete bei 30 Grad

Schreib mal wieder was Schönes, nichts Politisches, sagte mir kürzlich jemand. Das ist zwar schwer, derzeit in Potsdam, wo man jeden Morgen mit einem Stoßgebet auf den Lippen für einen Anflug von Sachverstand und wenigstens etwas schwäbische Sparsamkeit für das verantwortliche Personal aufwacht.

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Schreib mal wieder was Schönes, nichts Politisches, sagte mir kürzlich jemand. Das ist zwar schwer, derzeit in Potsdam, wo man jeden Morgen mit einem Stoßgebet auf den Lippen für einen Anflug von Sachverstand und wenigstens etwas schwäbische Sparsamkeit für das verantwortliche Personal aufwacht. Aber ich will es versuchen. Schreibe ich über den Sommer. Der ist sowas von da, dass er fast schon wieder weg ist. Die Sonnenwende liegt hinter uns und wenn jetzt die Fußball-EM erledigt ist, dann fahren alle in den Urlaub. Der ist auch ruckzuck vorbei, dann ist Schulbeginn, Blätterfall, Kastanien knallen Ihnen aufs Autodach und schon können Sie die Nikolausstiefel putzen. Also rein in den Sommer, solange er noch da ist. Auch wenn er bisweilen zur Herausforderung wird.

Im Sommer, finde ich, zeigt sich, ob eine Gesellschaft wahre Größe besitzt. Ich fahre viel mit den Öffentlichen und befinde mich auch sonst des Öfteren in Menschenmassen. Was da so passiert und augenscheinlich wird bei 30 Grad im Schatten – das zeigt mir, dass es immer noch Mitbürger gibt, die auf den letzten prüfenden Blick in den Ganzkörperspiegel, bevor sie das Haus verlassen, verzichten. Überhaupt, der Nahverkehr. Am heißesten Tag musste ich nach Marquardt fahren. Das Kind hatte einen kulturellen Auftritt, da fährt man auch bei 40 Grad. Der Bus ist schon mal pünktlich. Zurück, dachte ich mir, nimmst du die Regionalbahn. Fährt durch bis Griebnitzsee. Prima. Der Bahnhof Marquardt, idyllisch am Feldrand, liegt still. Es gibt zwei Bahnsteige, zwei Fahrradständer, zwei Überdachungen, Fahrplanplakat und Fahrgastanzeige, Lautsprecher mit Digitaluhr. Die geht sogar richtig. Nur – kein Zug kommt. Mehrmals rauschen lange Güterzüge durch, ohne Ansage. Der Wind ist heftig, er rüttelt mich, er fährt in die Magengrube. Beim zweiten Zug hebe ich die Arme hoch und lasse den Wind in die Ärmel fahren, das kühlt. Dann wieder Stille. Lerchen trillern, Grillen zirpen. Es ist schön hier. Wann habe ich das letzte Mal so romantisch gewartet?

Zwei Fahrradfahrer warten mit mir. Das beruhigt. „Ist sonst immer pünktlich“, sagt einer nach 20 Minuten. Nach 25 Minuten die blecherne Ansage (Der Kasten funktioniert!): Wir haben 30 Minuten Verspätung. Wer hätte es gedacht. Dann kommt die Bahn und ist sogar klimatisiert. Die Zugbegleiterin ist nett. Zum weiteren Verlauf will sie aber nichts sagen. „Ist alles durcheinander heute, Weichenstörung. Ich mache keine Aussage.“ Sie wusste schon, warum. Am Hauptbahnhof ist nämlich plötzlich Endstation. „Nehm’ se bis Griebnitzsee den Schienenersatzverkehr.“ Wir, also ich und viele ausgelieferte Touristen, schleppen uns, mittlerweile schon etwas hitze-blöd, über aufgeweichten Asphalt zu den Bussen. Als alle drin sind, springt der Motor nicht an. Minutenlang stehen zehn Busfahrer mit wichtiger Miene im Cockpit und drücken Knöpfe, dann dürfen wir in den nächsten, schön aufgeheizten Bus umsteigen. Ich will endlich losfahren, denke ich wie ein Mantra. Ich will die viel gerühmte deutsche Ingenieurskunst. Ich will Weichen, die auch im Sommer funktionieren, ich will schnurrende Motoren, ich will Fußballtore, ja, deutsche. Bei 30 Grad in Paris. Und im schönen Potsdamer Sommer.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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