PYAnissimo: Stresstest am Stadtrand
Pfingsten ist ein komisches Fest. So undefiniert.
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Pfingsten ist ein komisches Fest. So undefiniert. Ohne Tannenbaum und Eiersuche – drei Tage frei, einfach so. Denn weil es so schön ist, wird gleich noch der Montag drangehängt. Das lange Wochenende ist wie ein Stresstest vor dem Sommer. Wer jetzt nicht die Terrasse einrichtet, angrillt, anpicknickt, anbadet oder zumindest anbräunt, der kann gleich einpacken. Oder eingepackt lassen.
Bei uns hinterm Haus wurde übers Pfingstwochenende gezeltet. Der Lindenpark, Soziokulturzentrum mit Bildungsauftrag am Stadtrand, veranstaltete das vierte „Psychomania Rumble“-Festival. Zwei Tage und Nächte lang Punk, Psychobilly, Rock und Spirit, Musik der glorreichen 1950er, verqirlt mit schräger Moderne.
Die 18 Bands und ihre putzigen Fans kamen aus ganz Deutschland mit ihren VW-Bullis und blieben drei Tage. Im Wäldchen am Lindenpark schlugen sie ihre Zelte auf, aus denen am Nachmittag zerknitterte Festivalgänger krochen, sich im Autospiegel die Tolle frisierten, die Lippen kirschrot nachzogen. In Liegestühlen am Wegrand ließen sie sich später die Sonne auf den Bauch knallen, bis sie sich in gemütlichen Kaffee- oder Grillrunden an Campingtischen mitten auf der Straße einfanden. Anlieger wie wir, also Spießer, die gegen Mittag von Getränkemarkt und Gartencenter zurückkehrten, wurden zwar gnädig durchgelassen, aber zumindest mit selbstbewussten Gesten oder mitleidsvollen Blicken bedacht.
Aber Potsdam ist eine tolerante Stadt. Kinderfreundlich, familienfreundlich, seniorenfreundlich, barrierefrei, tierlieb, ökobilanziert, fahrradorientiert. Und nicht zuletzt voller Willkommenskultur, auch für diese Psychobillys, denen man eine zumindest teil-semantische Verwandtschaft mit den amerikanischen Hillbillys – stolze, schrullige Bergbewohner mit Hang zur Selbstjustiz – andichten könnte.
Die fühlen sich scheinbar in Potsdam ganz wohl und finden zu uns – auch ohne Tourismusmarketing. Selbst die Dauer-Straßensperrung unter der S-Bahn-Brücke in Griebnitzsee, wo seit Wochen die Straße aufgerissen ist und einen höchst anschaulichen Blick auf Rohrleitungen freigibt, konnte die Reisenden nicht aufhalten. Und wir Nachbarn können sie aushalten, einmal im Jahr, es gibt tatsächlich Schlimmeres (beispielsweise Technopartys bis früh halb acht). Vermutlich sind die Psychomaniacs ganz normal, im richtigen Leben Busfahrer und Kindergärtnerinnen. Zahlen Steuern und KFZ-Versicherung, vertikutieren am Samstagvormittag ihren Rasen am Haus, vergleichen im Supermarkt die Preise. Ist ja nichts Verwerfliches. Jetzt ist der Spuk vorbei, der Müll entsorgt. Der Wald, das ist schon klar, bleibt bis zum nächsten Starkregen kontaminiert. Immerhin: Wir haben den Sommerstresstest unbeschadet bestanden.
Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg
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