Warum gerade die Schnittmengen zwischen dem Psychologen und Schriftsteller Sigmund Freud zum Abschied für die Potsdamer Professorin Elke Liebs bemüht wurden, erklärt sich beim Blick in ihre Biografie. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik, Theologie und Psychologie, einer Zeit als Gymnasiallehrerin und als wissenschaftliche Assistentin arbeitete die vielseitige Wissenschaftlerin nach einer Zusatzausbildung auch zwölf Jahre als Gesprächspsychotherapeutin. Zugleich habilitierte sie sich und nahm Gastprofessuren an der Universität Frankfurt/Main sowie an der University of Florida in Gainesville an.
Da bietet sich Freud natürlich an. Als jemand der zugleich ein brillanter Essayist wie Wissenschaftler war. Jemand, der die Wahrheit suchte, in hybriden Texten, in der Traumdeutung und der Gesprächstherapie. „Wahrheit, welch großes Wort“, sagte die Potsdamer Literaturwissenschaftlerin Prof. Gertrud Lehnert während des Festkolloquiums zur Verabschiedung von Elke Liebs, die nach dem Sommersemester in den Ruhestand geht. Habe doch gerade Freud die Erkenntnis geprägt, dass das Ich nie Herr im eigenen Hause sei. Und wenn die Wissenschaftlerin Freud mit Proust vergleicht, so kommen beide zu der Erkenntnis, dass die Wahrheit nicht einzuholen ist, durch keinerlei Archäologie, sei es die der Literatur oder sei es die des Psychiaters. Die Wahrheit der Menschen bleibe Illusion. „Keine Archäologie vermag herauf zu befördern, was tief im Inneren schlummert“, so Gertrud Lehnert.
Ähnlich formulierte es Prof. Willi Jasper, der mit Max Frisch sprach: Jeder erfinde sich doch irgendwann eine Geschichte, die er für sein Leben halte. Das weite Feld, in dem sich Freud bewegte, umriss der Potsdamer Germanist mit einem Vergleich: „Während die Psychoanalyse über Sprache die Emotionen erreicht, wird die Dichtung von Emotion zur Sprache.“ So fern sich die Ansätze seien, so nah würden ihre Wege liegen: „Beide nutzen die gleiche Straße, nämlich die Sprache.“
Elke Liebs war auf Umwegen nach Potsdam gelangt. Nachdem sie 1989 eine Lebenszeitprofessur an der University of Oregon, Eugene erhielt kam sie 1994 nach Potsdam, um an der damals neu gegründeten Universität die Professur für Didaktik der deutschen Literatur am Institut für Germanistik zu übernehmen. Hier hat sie in der Forschung, der Lehre und als Organisatorin von interdisziplinären Tagungen für das Gespräch zwischen Germanistik und anderen Literaturwissenschaften, Komparatistik, Psychoanalyse, Religionswissenschaft, Gender Studies und Jüdischen Studien gewirkt.
Dass an diesen Schnittstellen manchmal auch keine Schnittmengen entstehen, gab Elke Liebs nun zu ihrem Abschied zu bedenken. Könnte es doch durchaus sein, dass von der Psychoanalyse eine „Gefahr“ für die Literatur ausgehe. Als Rainer Maria Rilke sich von Freuds Tochter Anna Freud analysieren lassen wollte, lehnte diese ab. Es besteht die Gefahr, dass er seine Fähigkeiten als Dichter dadurch verliere, hatte Anna Freud Rilke geantwortet. „Wo hört der Dichter auf, wo fängt der Analytiker an“, fragte Elke Liebs dann auch. Eine sicherlich spannende Frage für weitere Forschungen, regte die scheidende Wissenschaftlerin an. Romane von Analytikern zumindest, so ihr Urteil, würden meist durch ihre Unzulänglichkeit für die These von Anna Freud sprechen.
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