Links und rechts der Langen Brücke: Suche nach Wahrheit
Henri Kramer über scheinbar endlose Ermittlungen – und warum die Staatsanwaltschaft dafür nicht per se am Pranger stehen sollte
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Es gibt Todesfälle, die elektrisieren, weil die Umstände so bedrückend sind – und weil nichts klar erscheint. Potsdam halten zwei solcher Tragödien in Atem: Am 14. Juli der 17-jährige Punker, der aus noch ungeklärten Umständen unter eine Tatra-Bahn geriet und tödlich verletzt wurde. Und vor mehr als einem Jahr das Kleinkind, das im Juli 2006 verstarb, nachdem es in einem Weideniglu seiner Kita erstickt gefunden wurde. In solchen Fällen ruft die Öffentlichkeit geschlossen nach Aufklärung. Und oft gibt es den Reflex: Irgendwer muss schuld sein Doch noch gibt es in beiden Verfahren keine Anklagen, aber auch keinen Abschluss, der belegt, dass niemand juristische Schuld auf sich geladen hat. Im Fall des toten Jugendlichen ist dies aus Sicht der Öffentlichkeit nachvollziehbar, zwei Monate sind erst verstrichen.
Im Fall des toten Kleinkinds ist das anders. „Seine Eltern haben einen erheblichen Teil der Aufklärungsarbeit geleistet“, sagt deren Anwalt. Denn erst ein durch Magnus“ Mutter und Vater beauftragtes Gutachten zeigte, dass sie nicht den Tod ihres Kindes mitverschuldeten, weil ihr Sohn eine Bernsteinkette trug. Dies war anfangs behauptet worden. Inzwischen ist klar, dass das eineinhalb Jahre alte Kind in den Zweigen des nicht TÜV-geprüften Weideniglus erstickte. Auch zur Feststellung der Zeit, die das Kind zwischen dem Geäst hing, haben die Eltern zwei Analysen anfertigen lassen, die von deutlich mehr Minuten als als bisher angenommen ausgehen: Glaubt die Staatsanwaltschaft das auch, wäre es ein Indiz für Fahrlässigkeit. Doch unabhängig davon, wie der Fall ausgeht, drängt sich ein schlimmer Gedanke auf: Nur wer selbst solch schwierigen Ermittlungen in die Hand nimmt, kann sie in eine neue Richtung lenken, ohne sich auf eine als viel zu langsam wahrgenommene Staatsanwaltschaft verlassen zu müssen.
Doch ist es in diesem Fall zu einfach, die ermittelnde Justizbehörde per se an den Pranger zu stellen. Rund 56 000 Verfahren bearbeitet die Potsdamer Staatsanwaltschaft pro Jahr, 60 Staatsanwälte stehen dafür zur Verfügung – und ein Dienstwagen. Zudem ist sie Schwerpunktbehörde in Brandenburg für Wirtschaftskriminalität. Die Behörde selbst spricht von 20 Prozent Unterbesetzung. Und rund ein Viertel der bearbeiteten Fälle landet danach noch vor Gericht, was weiteren Zeitverzug bei anderen Ermittlungen bedeutet, weil vor dem Richter ein Staatsanwalt sitzen muss. Dazu kommt die Abhängigkeit von den Vorermittlungen der Polizei, ebenso von der Qualität und Dauer der eingeholten Gutachten.
Für den Fall des toten Kindes heißt das, dass natürlich nicht alles optimal gelaufen zu sein scheint. Doch auch Staatsanwälte sind nur Menschen mit Fehlern. Und sie haben eine Behörde über sich, die Personalbestand sowie die interne Organisation festlegt: Das Justizministerium, das im chronisch armen Brandenburg auch nicht von Sparvorgaben verschont geblieben ist
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