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Landeshauptstadt: „Täglicher Wahnsinn“

Schichtdienst, Beschimpfungen, Gewalt: Alltag eines ViP-Straßenbahnfahrers auf Potsdams Schienen

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Wenn Manfred Müller mittwochs, freitags oder samstags eine Abendschicht fährt, ist er hinterher gefrustet. „Es ist unglaublich, was man sich gerade an diesen Abenden als Straßenbahnfahrer anhören muss, besonders von Jugendlichen, die betrunken auf Partys gehen.“ Im Schnitt einmal im Monat fliege eine Bierflasche gegen sein Fahrer-Abteil – geworfen von Jugendlichen in Feierlaune, erzählt Müller.

Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, weil er sonst seinen Job verlieren könnte. Denn er will nicht nur über den „täglichen Wahnsinn auf Potsdams Schienen“ berichten, sondern auch über seinen Arbeitgeber reden, den Potsdamer Verkehrsbetrieb (ViP).

Seit vielen Jahren ist er Tramfahrer. Früher, so platt das klinge, sei vieles besser gewesen. Größtes Problem inzwischen: Die Fahrer müssten mit einem rechnergestützten Fahrplan fahren. „Dabei ist jede Ampelschaltung und jeder Halt auf die Minute genau berechnet – selbst kleine Verspätungen können dann dazu führen, dass während der gesamten Strecke immer wieder rote Ampeln kommen, die die Fahrt aufhalten.“ Deshalb zum Beispiel müsste ein Straßenbahnfahrer auch versuchen, Fahrgäste möglichst schnell ein- und aussteigen zu lassen. Selbst wenn er aus dem Hintergrund jemanden spurten sehe, der die wartende Bahn noch erreichen will. „Auch wenn dies persönlich frustrierend sein mag – so eine kleine Verzögerung kann die gesamte berechnete Fahrzeit durcheinander bringen und zu mehreren Minuten Verspätung führen.“ Denn viel schneller als erlaubt darf er nicht fahren – und falls die Polizei Geschwindigkeitskontrollen durchführe, müsse er als Tramfahrer die Strafe zahlen. Und in ganz besonders unglücklichen Momenten könne sich auch eine Weiche automatisch umstellen – im Juni vor zwei Jahren entgleiste deswegen eine Combino-Bahn.

Es sind solche Zusammenhänge, über die Müller regelmäßige Straßenbahnnutzer informieren möchte – um für Verständnis für sich und seine Kollegen zu werben. Er spricht schnell, mit lauter Stimme, redet sich manchmal sogar in Rage. Besonders dann, wenn er über die Dienste mittwochs, freitags und samstags redet, wenn viele Jugendliche unterwegs sind. „Gerade am Hauptbahnhof laufen sie einem regelmäßig besoffen vor so eine tonnenschwere Bahn“, sagt Müller. Auch „Straßenbahn-Surfen“ auf der hinteren Kupplung von Tatra-Bahnen hätten Kollegen schon erlebt. „Das Schlimme daran ist auch, dass keiner der anwesenden Erwachsenen etwas unternimmt.“ Ähnlich regt ihn auf, wenn die Rückfenster von den älteren Tatra-Modellen zerkratzt oder besprüht werden. „Wenn wir dann an manchen Strecken wie der Glienicker Brücke die Bahn kurz rückwärts fahren müssen, erkennen wir durch diese Scheiben keine Hindernisse – und der Rückspiegel bringt in diesem Winkel nichts. Das kann zu lebensgefährlichen Situationen führen.“ Dazu käme das Unverständnis vieler ViP-Kunden. Im Sommer sei einem Kollegen die Bahn wegen Überhitzung stehen geblieben. „,Du alte Sau“, sagte da einer zu ihm, ,kein Wunder, dass ihr die Leute tot fahrt“.“

Doch auch seinen Arbeitgeber sieht er kritisch. An den Schichtdienst habe er sich über die Jahre gewöhnt, an die Bezahlung nicht – sie sei viel zu gering. Sein Dienstplan für drei Tage: 5 bis 13.30 Uhr, am nächsten Tag 5 bis 9 und 15 bis 17.30 Uhr, am übernächsten 5 bis 12, dann drei Stunden unbezahlte Pause, dann nochmal 15 bis 17.30 Uhr. Pausen in den Wendeschleifen würden nicht vergütet. Dazu käme die Anfahrt zu der Haltestelle, an der sich mit dem jeweiligen Kollegen abgewechselt werde. „Und dabei soll man immer fit und ausgeschlafen sein.“ Gerade im Sommer sei dies schwer – besonders in den Combino-Bahnen. „40 Grad in der Vorderkabine hält kein Brotbelag aus.“ Dazu müssten die Fahrer Schlips und Kragen tragen, würden aber vom ViP nicht einmal mit Wasser versorgt. „Für viele meiner Kollegen war der Beruf Straßenbahnfahrer einmal ein Kindertraum – inzwischen allerdings zehrt der Job einfach nur noch am eigenen Leben.“

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