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Landeshauptstadt: Tauschtag

55 Männer, keine Frau. Und der Nachwuchs fehlt auch. Ein Besuch beim Philatelistenverein Babelsberg

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Babelsberg - Die Briefmarken bringen ihm Glück. So einfach könnte Jürgen Huckewitz das zusammenfassen. Macht er aber nicht. Dabei war schon sein Einstieg in die Sammelei mit einem glücklichen Ereignis verbunden: Denn die ersten Marken brachte ihm der verloren geglaubte Vater aus der Kriegsgefangenschaft mit. Damals war Huckewitz sechs Jahre alt. Die Liebe zu den Briefmarken ist ihm seitdem geblieben. Und sie hat ihm auch Glück in der Liebe gebracht. Das alles erzählt er aber erst später.

Dass er glücklich ist, merkt man dem 67-Jährigen trotzdem gleich an. Er ist einer von 30 Männern, die an diesem Abend in die Kantine des Instituts für Weiterbildung in der Otto-Erich-Straße gekommen sind. Hier treffen sich die Mitglieder des Philatelistenvereins Babelsberg jeden zweiten Dienstagabend zum „Tauschtag“. „Die Beleuchtung hier ist sehr gut“, erklärt Huckewitz.

22 weiße Reispapierleuchten hängen über den dunklen Holztischen, auf denen sich Alben und Postkarten stapeln. Dass es nicht nur um Briefmarken geht, das lassen die Biertulpen erahnen, die sich die Männer beim Hereinkommen bestellt haben. „Die Leute kommen, um zu reden“, meint Huckewitz: „Viele sind auch froh, dass sie mal wegkommen von Muttern.“ Er streicht sich übers Kinn und lächelt.

Jürgen Huckewitz ist der zweite Vorsitzende des Vereins. Erster Vorsitzender will er nicht werden. Den Posten füllt Dietrich Gernhard auch mit 80 Jahren noch so gut aus, dass ihn seine Vereinskollegen jetzt für den Ehrenamtspreis der Stadt Potsdam vorschlagen wollen.

Seit mehr als 50 Jahren gibt es die Babelsberger Philatelisten. Vor der Wende, erzählt Huckewitz, hatte der Verein 180 Mitglieder: „Die Hälfte Frauen.“ Von denen ist heute keine mehr übrig. Sie waren auch nur pro forma Briefmarkensammler, erklärt Huckewitz. Denn Sondermarken waren „Bückware“ in der DDR, manchmal gab es nur drei Stück pro Postausweis: „Demzufolge mussten die Frauen mit herhalten.“

55 Mitglieder sind heute noch dabei, davon sind fünf 2007 dazugekommen, erzählt Bernd Kluge stolz. Er hat sie alle auf der Liste, mit Geburtstag, denn er ist Schriftführer: „Zum Geburtstag kriegt jeder eine Karte, das ist wichtig für den Zusammenhalt“, sagt Kluge. Das Durchschnittsalter liege „über sechzig“. Auch die Sammelgebiete der Mitglieder hat er erfasst. Bei Jürgen Huckewitz sind das etwa „Brustschilde“ und „Germania“. „Das war eine Schauspielerin“, erklärt Kluge. Er selbst sammelt Kunst.

„Durch die Marken bin ich zur Malerei gekommen“, erzählt der pensionierte Offizier. Zuhause bei ihm stapeln sich neben den Briefmarkenalben mittlerweile auch Kunstbände. „Man will mehr über die Bilder auf den Marken wissen, wer sie gemalt hat, wo sie hängen“, sagt Kluge. Er ist den Kunstwerken zum Teil sogar nachgereist. „Gemälde auf Briefmarken“ sind auch Thema im aktuellen „Mitteilungsblatt“, das Kluge herausgibt. Auf der Titelseite ist eine Briefmarke mit der „Nackten Maja“ abgebildet. „Für das Bild wurde Goya im 19. Jahrhundert noch vor die Inquisition gezerrt“, erzählt Kluge. Als sie 1930 auf einer spanischen Marke erschien, war das „die erste nackte Frau auf einer Briefmarke“ – ein Skandal. Über solche Fragen organisiert Kluge regelmäßig Fachvorträge.

Aber Sorgen machen sie sich doch: Um die Zukunft ihres Hobbys. Denn Nachwuchs gibt es nicht. Liegt das an der Post, die Marken durch Freistempler ersetzt oder teuer verkauft? Bis zu 90 Euro pro Jahr müssten Sammler für alle neuen Marken ausgeben, sagt Kluge: „Das kann sich ja ein Jugendlicher nicht leisten.“ Aber er hat noch eine andere Erklärung. Er nennt es die „Krümelkackerei“: Den älteren Sammlern gehe es nicht um Motive oder Themen, sondern nur noch um Farbabweichungen und Fehldrucke - für Jugendliche sei das uninteressant, meint Kluge.

In seine Alben hat er bereits Zettel gelegt. Darauf steht, was die Marken laut Michel-Katalog wert sind. Damit die Erben später nicht übers Ohr gehauen werden, erklärt Kluge. Auch Jürgen Huckewitz hat schon einige Sammlungen von Verstorbenen geschätzt. „Meistens ist die Enttäuschung bei den Erben groß“, erzählt er. Vor ein paar Jahren aber hatte er Glück: „Aus einer Briefmarkensammlung hab ich die Witwe mitgekriegt“, erzählt er und lächelt. „Sie sammelt keine Marken. Aber Puppen.“

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