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Landeshauptstadt: Teilen macht glücklich

Kuba außerhalb von Touristenhochburgen: Nele Muder über ihr soziales Jahr auf der Insel

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Ein Geruch von Benzin, Kuhmist und Hitze liegt in der Luft. Der Staub wird aufgewirbelt und ich halte mich an meiner Tasche fest und linse durch die Gitterstangen, die als Fenster dienen sollen. Draußen kann ich Palmen und einen von Kühen gezogenen Pflug sehen, mit dem die tiefrote Erde bearbeitet wird. In meinen Ohren dröhnt Salsa und ich muss aufpassen, dass ich meinen Kopf nicht an der Decke stoße. Alles wackelt und meine Wirbelsäule ersetzt den fehlenden Stoßdämpfer des „Camionetas“, eines Trucks, der für den Personenverkehr umgebaut wurde.

Ja, ich bin in Kuba. Dem Land, mit dem die meisten Menschen, Rum, Zigarren und lachende Menschen verbinden. Ich lebe jetzt seit gut drei Monaten hier und verbinde mit dem Land längst andere Geschichten als nur Rum und Zigarren. Rum gibt es in meiner Umgebung tatsächlich, aber meist eher den selbst gebrannten, der ist deutlich günstiger, und geraucht werden filterlose Zigaretten, aber kaum Zigarren. Wie viele andere mache ich nach meinem Abitur ein soziales Jahr und arbeite hier in der Presbyterianischen Kirche. Andere Freiwillige gibt es kaum, da die Kirche die einzige Möglichkeit ist, nach Kuba zu kommen – aufgrund der etwas komplizierten Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba.

Mein Wohnort befindet sich in einem kleinen Dorf in der Provinz Matanzas: Unión de Reyes. Hier verirrt sich so gut wie nie ein Tourist hin, da es hier einfach nichts „Besonderes“ zu sehen gibt. Das, was man sieht, ist der kubanische Alltag – und zwar ohne Kompromiss, nicht die schicken Hotelanlagen, die die Touristen von dem Land abschirmen. Ich bin die erste Freiwillige in diesem Dorf, ich bin ein „Exot“ in jeglicher Hinsicht. Mein Aussehen ist interessant, meine Essgewohnheiten, meine Sprache ... eigentlich alles. Alles wird genau registriert und wahrgenommen und nichts bleibt unbeobachtet. Ein Mensch, der aus dem „imperialistischen“ Ausland berichten kann, ist eine Attraktion.

Ich habe die DDR nicht mehr miterlebt, aber so stelle ich mir den damaligen Westbesuch vor. Alles ist interessant und alles anders. Meine Kaugummis werden hier wie Gold behandelt und meine Duschsachen genau inspiziert. Der Kontrast zwischen der kubanischen und der deutschen Welt ist enorm. Dennoch habe ich noch keine bettelnden Kinder erlebt, im Gegenteil – die Menschen sind für ein Entwicklungsland sehr gut gebildet: Jeder hat Zugang zu Bildung und es gibt ein flächendeckendes Gesundheitssystem. Aber wirtschaftlich geht es dem Land alles andere als gut. Wie groß der Anteil des US-Embargos an diesen Problemen ist, wird sich in Zukunft zeigen. Der Tourismus ist die mit Abstand größte Geldquelle, und wenn ich mal im Ferienparadies Varadero vorbeischaue, dann frage ich mich jedes Mal, ob das ein Land für die Touristen oder die Menschen hier ist.

Das tolle Flair der „Revolution“ und des Triumphs durch Che und Fidel ist lange her. Viele Menschen sehnen sich Veränderung herbei. Jetzt mit dem Wechsel der Politik Obamas und der Freilassung der „Cubanfive“ wird man sehen, was passiert, damit verbinden sich viele Hoffnungen. Und wie man merkt: Man kann unmöglich in Kuba für eine Weile leben, ohne dass einen das Thema Politik nicht beschäftigt.

Ich lebe in der Familie der Pastorin und erlebe eine unglaublich ehrliche Herzlichkeit, das gilt auch für meine neu gewonnen Freunde. Kuba ist ein Land mit ganz verschiedenen Gesichtern. Es gibt viele beeindruckende Menschen, die aber keineswegs nur lachen. So wie viele Kubaner liebe ich das Land, wünsche ihm aber auch weitere positive Veränderungen. Denn die Jugendlichen brauchen Perspektiven hier vor Ort, damit der Wunsch, das Land zu verlassen nicht weiter um sich greift. Denn trotz beispielsweise eines Medizinstudiums werden sie weniger verdienen als eine Servicekraft im Tourismus.

Und gerade aufgrund dessen ist es ein unbeschreibliches Glück, wenn die ärmsten Menschen in mir nicht die „reiche Deutsche“ sehen. Ich arbeite hier vor allem mit Senioren zusammen, die auf sich allein gestellt und einfach für jede Zuwendung sehr dankbar sind.

Als ich zu Weihnachten Karten gebastelt und sie verschenkt habe, war ein Opa so glücklich und dankbar dafür, dass er mir aus einer alten Plastikflasche einen kleinen Blumenstrauß gebastelt hat, also quasi aus nichts. Er lebt in einem kleinen Zimmer, wo alles drin ist oder vielmehr nichts und trotzdem achtet er sehr auf sich und ist so herzlich. Wie wenig manchmal reicht, um Menschen glücklich zu machen, das ist mit das schönste Gefühl auf der Welt! Und es rückt dann einen Moment lang Ungerechtigkeit, die Politik und die Armut in den Hintergrund. Und dann erinnere ich mich wieder, warum ich immer nach Kuba wollte.

Ich war zehn Jahre alt und war mit meinen Eltern hier im Urlaub, wir haben damals einen Tabakbauern besucht, der hatte nichts, außer seinen Tabak, eine Ziege, ein Bett und einen Topf zum Kochen in einer kleinen Holzhütte – und er war zufrieden mit seinem Leben. Diese Zufriedenheit hat mich als Kind so unglaublich fasziniert oder vielmehr berührt. Und das ist der Grund, warum ich jetzt hier bin, gerade wegen der vielen Widersprüche, die mir manches Mal schon Kopfzerbrechen bereitet haben.

Ich bin sehr zufrieden und lache mehr als in meiner Heimat. Da es einfach nur faszinierend ist, wie die Menschen mit der Situation umgehen. Mit „Paciencia“ (Geduld) und dem Nichtsoernstnehmen der Dinge klappt dann doch vieles besser als gedacht. Auch beeindruckt mich sehr, wie sich alle gegenseitig weiterhelfen, wenn es wirklich darauf ankommt, und wie man lernt, über die schwierigsten Situationen zu lachen. Teilen macht eben glücklicher. Vielleicht das Geheimrezept der Kubaner, ich weiß es nicht.

Ich habe hier in den letzten drei Monaten jedenfalls schon mehr gelernt über das Leben als in 13 Jahren Schule und freue mich sehr auf das, was noch kommen mag. Ich sammle jede einzelne Geschichte und versuche sie mitzubringen, mitzubringen nach Potsdam.

Regelmäßig berichten Schüler und Studenten an dieser Stelle von ihrem Leben im Ausland. Die 20-jährige Nele Muder ist Potsdamerin und absolviert ein freiwilliges soziales Jahr in Kuba

Nele Muder

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