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Homepage: Tierbilder der besonderen Art

Stefan Günther hat für seine Diplomarbeit an der Fachhochschule Tiere fotografiert

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Der erste Gedanke: Blut. Das Rot auf dem Rücken dieser Schweine kann nur Blut sein. Dann, beim genauen Hinsehen, sind Zahlen zu erkennen. Die Hausschweine auf den Fotografien von Stefan Günther sind mit grobem Pinselstrich nummeriert worden. Warum, das bleibt offen. Vielleicht für einen dieser tagelangen Tiertransporte, vielleicht für die bevorstehende Schlachtung. Rote Farbe als Menetekel auf borstiger Schweinehaut.

Für ein paar Tage hatte Stefan Günther seine Fotografien in Räumen des Brandenburgischen Kunstvereins im Luisenforum gezeigt. Anlass war die Präsentation seiner Diplomarbeit, mit der Stefan Günther sein Studium als Kommunikationsdesigner mit Schwerpunkt Fotografie an der Fachhochschule in Potsdam abschloss. Insgesamt 20 großformatige Tierfotografien, von Niedlichkeitseffekten keine Spur. Diese „vorgewussten Bilder“, wie Günther sie nennt, die in jedem Tierkalender zu finden sind und erwartungsgemäß heile Welt vorgaukeln, wollte er nicht liefern. „Unklare Bilder“, sagt Günther, seien seine Absicht gewesen. Bilder, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen.

Mit einem Bibelzitat hat Stefan Günther seine Bilder überschrieben: „in eure Hände seien sie gegeben“. Das erste Buch Mose, Kapitel 9, Gottes Bund mit Noah. „Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie gegeben“, lautet der ganze Satz. Bei den Recherchen für sein Thema ist Stefan Günther auf dieses Zitat gestoßen. Und auch wenn er nicht religiös ist, hat in dieser Satz nicht mehr losgelassen.

Dieses in die Hände gegeben, beinhaltet für Günther neben einer Art Ausgeliefertsein vor allem die Aufforderung zu Verantwortung und respektvollem Umgang mit Tieren. Doch daran lässt es der Mensch, was vor allem die so genannten Nutztiere betrifft, sehr oft mangeln. „Tierschutz ist ein sehr emotionales Thema“, sagt Stefan Günther. Doch Emotionen verweigern seine Bilder. Seine Sprache ist formal. Sein Blick auf die Tiere oft verwirrend.

Oft zeigt Stefan Günther nur Ausschnitte. Von den Hausschweinen mal ein Ohr oder ein Teil des Rückens. So zwingt er zum genauen Hinsehen, provoziert Irritationen. „Durch die Ausschnitte verfremde ich. So ist nicht gleich zu erkennen, was auf dem Bild überhaupt zu sehen ist“, sagt Stefan Günther. Und wenn mancher bei diesen Bildern anfangs zweifelt, ob das nun der Ausschnitt eines Tieres oder vielleicht doch eines Menschen ist, dann ist auch das gewollt. Manchmal braucht es nur solch ein verwirrendes Detail, um Ähnlichkeiten zu entdecken, wo man nie welche vermutet hätte.

Andere Bilder zeigen Pferde hinter dem Gitter der Stalltür, Vögel in Käfigen, einen Elefanten im Zoo, der in dem ihn umgebenen Grau fast verschwindet, eine Katze auf dem Teppich. Eigentlich Unspektakuläres. Doch wie es Günther fotografiert hat, verändert sich der Blick auf das Tier. Und mit dieser veränderten Perspektive erreicht er es, dass der Betrachter innehält und sich selbstkritisch mit einem Thema auseinandersetzt, dessen Schattenseite ihm bekannt sind, er sie bisher aber immer ausgeblendet hat.

Mehrere Wochen war Günther mit der Kamera unterwegs, hat in Tierparks, auf Landwirtschaftsmessen, in Zoohandlungen und Ställen fotografiert. Die Bilder, die er in seine Diplomarbeiten aufgenommen hat, sind nur ein Bruchteil davon. Stefan Günther, der in Berlin lebt, hofft, dass die Ausstellung seiner Tierbilder in den Räumen des Brandenburgischen Kunstvereins nicht die letzte bleiben wird. Er hat die Bilder dem Brandenburgischen Umweltministerium angeboten. Aber er muss damit rechnen, wenn man dort an seinen Fotografien interessiert ist, dass diese nur Platz in einem der zahlreichen Flure von Ministeriumsgebäuden finden werden. Aber vielleicht wird mancher auf dem Weg in die Kantine zum Mittagessen durch Stefan Günthers ungewöhnliche Perspektive zum Innehalten und zum genauen Hinsehen gezwungen.

Dirk Becker

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