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Landeshauptstadt: Tolerante Studenten in der Stadt der Toleranz

Entgegen den aktuellen Trends herrschen an der Universität Potsdam wenige Vorurteile gegenüber Juden und Muslimen

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Als die Universität Potsdam Anfang Oktober das 20-jährige Bestehen der Jüdischen Studien feierte, wurde der Festakt durch eine antijüdische Schmähung überschattet. „Juden??? Ich dachte die haben wir ausgerottet“ hatte jemand groß auf ein Plakat zu der Veranstaltung geschrieben. Und Forscher des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) warnten vor wachsendem Antisemitismus in Europa – und dass antisemitische Einstellungen auch bei Menschen mit Studienabschluss durchaus weit verbreitet seien. „Der Vorstellung, dass die Universität, nur weil dort gebildete Leute sind, ein Raum ohne Antisemitismus ist, kann man nicht folgen“, sagte Gideon Botsch vom MMZ. Doch nun zeichnet eine Studie des MMZ ein ganz anderes, positives Bild, zumindest für die Universität Potsdam: Demnach haben die Studenten dort entgegen den aktuellen Trends nur wenige Vorurteile gegenüber anderen Religionen und Kulturen. Und sie zeigen sich nur in relativ geringem Maß anfällig für antisemitische und antimuslimische Vorurteile.

Das MMZ hatte für die Untersuchung von Anfang Juni bis Mitte August 2014 eine Online-Umfrage durchgeführt, an der sich 1264 Studenten der Universität beteiligten. Die ganz überwiegende Mehrheit der befragten Studenten identifiziert sich – so das Ergebnis – mit einer Gesellschaft, in der die unterschiedlichen ethno-religiösen und ethno-kulturellen Gruppen gleiche Rechte und gleiche Förderung genießen, und in der sie ihre Religion ungehindert ausüben können. Zudem wird Zuwanderung nach Deutschland ausdrücklich begrüßt.

Traditionelle antisemitische Vorurteile finden der Studie zufolge unter den Studenten nur wenig Zustimmung. Zwei Prozent waren demnach der Ansicht, dass man in wirtschaftlichen Fragen mit Juden vorsichtig sein sollte. Einen „zu großen Einfluss jüdischer Eliten“ auf das gesellschaftliche Leben hielten nur 5,4 Prozent der Befragten für wahrscheinlich. 5,5 Prozent befürworteten die Ansicht, dass Juden durch ihr gesellschaftliches Verhalten am Antisemitismus „nicht ganz unschuldig“ seien.

Größere Zustimmung habe es hingegen für Aussagen gegeben, die auf moderne Formen des Antisemitismus schließen ließen, also mit Israelfeindschaft und der Frage der deutschen Schuld zu tun haben, heißt es vom MMZ. So stimmten knapp 40 Prozent zu, dass Israel einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die Palästinenser führe. Einem Verbot der rituellen Beschneidung von jüdischen Jungen würden 38,3 Prozent der Befragten uneingeschränkt oder teilweise zustimmen. 15,2 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Juden ihre Leiden im Zweiten Weltkrieg ausnutzten, um heute eigene Vorteile daraus zu ziehen.

Die weitgehende Toleranz der Studenten der Universität Potsdam gilt auch gegenüber Muslimen. Mehr als die Hälfte (54,8 Prozent) befürworten den Bau von Moscheen selbst dann, wenn eine Mehrheit der nichtmuslimischen Bevölkerung sich dagegen aussprechen würde. Noch stärker war die Zustimmung zu der Auffassung, dass bei einem Kopftuchverbot für Muslima im öffentlichen Dienst auch christliche und jüdische Symbole im öffentlichen Dienst untersagt werden sollten. Dem stimmten 53,3 Prozent der Studierenden vollkommen und 26,1 Prozent tendenziell zu. Dagegen befürworteten 14,2 Prozent die Aussage, dass der Islam eine „Gefahr für die abendländische Kultur“ darstelle. 22,6 Prozent fanden, dass Muslime aufgrund ihrer Religion intolerant seien.

Die Forscher fragten auch nach der politischen Einstellung der Studenten an der Universität Potsdam. 54,9 Prozent ordneten sich selbst als politisch links oder stark links orientiert ein, 34,7 Prozent sahen sich in der Mitte des politischen Spektrums, 2,2 Prozent verorteten sich politisch rechts. Je mehr links die Studenten sind, desto positiver waren sie gegenüber Juden und Muslimen eingestellt.

Überraschend ist das positive Ergebnis selbst für die Forscher am MMZ. Denn eine ähnliche Umfrage in Osnabrück hatte unlängst eine starke Tendenz zu Vorurteilen ergeben. Nun empfehlen die Wissenschaftler, die Umfrage auch an anderen Universität durchzuführen. Alexander Fröhlich

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