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Homepage: Toleranz – eine Zumutung

Podiumsdiskussion an der Universität Potsdam fragte nach den „Grenzen der Toleranz“

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„Endlich ist an der Uni mal wieder was los“, sagt Reinhild Jürgensen mit einem verschmitzten altersmilden Lächeln. Die pensionierte Mathematikerin hatte die Auseinandersetzungen um die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach verfolgt und ist deshalb am Mittwoch als Zuhörerin zur Podiumsdiskussion um die „Grenzen der Toleranz“ am Uni-Campus Griebnitztsee gekommen. Die Proteste der Studierenden hätten sie an ihre Zeit als junge Wissenschaftlerin 68 an der Universität Kiel erinnert. „Das ,Sit-in haben wir ja sozusagen erfunden“, meldet sie sich zu Wort. Die Studenten im gut gefüllten Saal johlen, die Professoren schmunzeln. Jetzt hat die Seniorin alle Sympathien auf ihrer Seite. Dann aber wendet sie sich mit gebotenem Ernst an die Studierenden: „Wiederholen sie nicht unsere Fehler!“ Statt durch Sitzblockaden ein Auftreten Erika Steinbachs zu verhindern, hätte man sich inhaltlich präparieren sollen, um sich mit der umstrittenen Politikerin auseinandersetzen zu können.

„Toleranz ist immer auch eine Zumutung“, zitiert Uni-Präsidentin Sabine Kunst den Philosophen Jürgen Habermas. Meinungen auszuhalten, die wir subjektiv falsch und schlecht finden, sei nicht einfach. Toleranz, sagt sie, ist etwas für starke Gemüter. „Sie braucht Mut und Bildung und ist nicht mit Prinzipienlosigkeit gleichzusetzen, die ihr manchmal unterstellt wird.“

Wo aber hat sie ihre Grenzen? Und kann sie tatsächlich dazu führen, politische Widersprüche zu überdecken, wie es die protestierenden Studenten befürchteten? Die auf dem Podium versammelten Wissenschaftler und Oberbürgermeister Jann Jakobs nähern sich dem Problem aus unterschiedlichen Richtungen. Ralf Stoecker, Professor für Angewandte Ethik, definiert Toleranz als zwischenmenschliche Haltung, die Individualität des anderen zu respektieren und Differenzen auszuhalten. Dies zeige auch, ob und wie eine Gemeinschaft in ihrer Vielschichtigkeit zivilisiert miteinander umgehe. Die Wissenschaft, meint Stoecker, sei geradezu eine Paradebeispiel für Toleranz. Oft müsse man 99 Prozent falsche Auffassungen hinnehmen oder sich mit ihnen auseinandersetzen, um zu einer einzigen richtigen Erkenntnis zu kommen. Entsprechend weit seien die Grenzen der Toleranz an einer Universität gesteckt. Schluss sei jedoch dort, wo jemand verletzt werde, zum Beispiel bei neonazistischen Übergriffen, bei Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.

Jann Jakobs erinnert daran, dass eben ein solcher Übergriff – 2006 auf Ermyas Mulugeta – die jetzt laufende Toleranz-Debatte Potsdams mit angestoßen habe. Er sehe, wie die Stadt versucht, sich einen Konsens zu erarbeiten. Es sei ein heilsamer Diskussionsprozess, den er für die politische Kultur auch den Studierenden und dem Präsidium der Universität empfehle, die ja Teil der Stadt sei.

Die meisten Studierenden aber haben überhaupt keinen Bezug zu Potsdam, kritisiert der Politologe Professor Heinz Kleger. Von 18 000 Studierenden hätten erst 200 die Aktion für ein weltoffenes und tolerantes Potsdam unterschrieben, sagt der Verfasser der Thesen für ein neues Toleranzedikt. Gerade die Studierenden könnten sich in die Debatte aktiv einbringen. Wo sonst, wenn nicht an der Universität, könne man ohne Handlungs- und Zeitdruck diskutieren. Die Verhinderung der Vorträge von Erika Steinbach hält Kleger keineswegs für einen Rückschlag in der Toleranzdebatte. Es sei zur Zeit nur leider das einzige Thema. Von den Studierenden wünscht er sich originellere Proteste. „Man muss mit den Rechten diskutieren können, damit man weiß, wie und was sie denken.“

Auch Rabbiner Walter Homolka, der das Abraham-Geiger-Kolleg der Universität leitet, hält ein Plädoyer für die Zwietracht und die Auseinandersetzung mit der Meinung anderer, „damit wir keine zahnlose Demokratie bekommen“. Die junge Soziologin Sahra Dornick hingegen fordert, sich vom Toleranzbegriff zu lösen und stärker darüber nachzudenken, „wie wir es ermöglichen können, menschlich miteinander umzugehen“. Ihr Hinweis auf die mögliche Machtförmigkeit politischer Diskurse hätte die Podiumsdiskussion in eine andere, theoretisch interessante Richtung lenken können.

Mit der Wortmeldung von Professor Eckart Klein vom MenschenRechtsZentrum der Uni aber dreht sich dann doch wieder alles um Erika Steinbach. Klein, der zu den Mitorganisatoren der inzwischen abgesagten Vorlesungsreihe gehört, bezweifelt, dass die Demonstranten gewusst haben, was Erika Steinbach hätte sagen wollen, und verwahrt sich gegen die Unterstellung der Studierenden, die Politikerin wissenschaftlich nicht kritisieren zu können, weil er ihre Stiftung für das „Zentrum gegen Vertreibung“ unterstütze. Klein räumt ein, dass er heute überlegen würde, „ob es sinnvoll war, vier Vorlesungen mit Erika Steinbach zu planen“. Er lehne es jedoch ab, vorher den Studierendenausschuss (AStA) zu fragen, wie er eine Veranstaltung zu organisieren habe. Der AStA sei keine Zensurbehörde. Die Universität müsse ein Ort freier Lehre und Forschung bleiben.

Malte Clausen und Tamás Blénessy vom AStA nutzen die Gelegenheit, erneut darauf hinzuweisen, dass der Studierendenausschuss nicht an der Blockade beteiligt war, sich jedoch schützend vor die Demonstranten gestellt habe, als die Räumung durch die Polizei unmittelbar drohte. Im Nachhinein würde jetzt, „weil kein anderer Protestierer greifbar ist, der AStA für alles verantwortlich gemacht werden.“

Politikstudent Matti Hoffmann sieht „wichtigere Dinge, als die ewig gestrige Frau Steinbach“. Tatsächlich ein Problem sei, dass sich bislang so wenig Studierende an der Aktion zum Toleranzedikt beteiligt hätten. Immerhin habe der Fall Steinbach ein Gespräch ausgelöst, resümiert Karin Donhauser von der Berliner Humboldt-Universität. Die mit dem Schlusswort beauftragte Professorin wünscht, dass die Uni diesen Diskurs fortführt, um die Ergebnisse in ihr neues Leitbild aufnehmen zu können.

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