Landeshauptstadt: Tomatenrotes Wunderwerk
Nicht nur das Äußere des Theaterneubaus von Gottfried Böhm ist spektakulär: Ein Rundgang durch das 26,5 Millionen Euro teure rot-schwarze Architekturwunder am Tiefen See offenbart erstaunliche Sichtachsen, technische Raffinessen –
Stand:
Berliner Vorstadt - Maschinist Tom Hesse öffnet den Eisernen Vorhang. Per Knopfdruck. Überraschend leise hebt sich die schwarze Wand – und gibt den Blick frei auf das Herzstück des neuen Potsdamer Theaters. Fast komplett ist der trichterförmige Saal schon mit Stühlen bestückt, in Tomatenrot ragen die Muschelschalen aus Beton in den Raum, die dem von Gottfried Böhm entworfenen Bau sein charakteristisches Äußeres geben. Doch das Innere des 26,5 Millionen Euro teuren Neubaus direkt am Tiefen See ist nicht weniger spektakulär – und knapp zwei Monate vor der Eröffnung am 22. September nahezu fertiggestellt.
Deshalb haben Oberbürgermeister Jann Jakobs, der geschäftsführende Theaterdirektor Volkmar Raback und Bernd Richter, kommissarischer Leiter des Kommunalen Immobilienservice (KIS), zur Besichtigung eingeladen. Die Tour durch die Werkstätten und Büroräume, auf die Bühne und in den Zuschauerraum, über die Beleuchterbrücke, in den 23 Meter hohen Bühnenturm und sogar bis auf eine der Dachmuscheln, macht die Dimension des außen und innen ganz in Rot und Schwarz gehaltenen neuen Hans Otto Theaters (HOT) deutlich.
Auch wenn der Zuschauerraum mit seinen maximal 469 Plätzen zunächst klein wirkt. Dafür birgt er optisch und technisch alle Raffinessen: Der gesamte Saal ist in Podien eingeteilt, die sich hoch- und herunterfahren lassen. Mehr als 20 Spielvarianten hat Theater-Direktor Raback ausgemacht – außerdem kann ein Orchestergraben entstehen, ein Laufsteg oder ein Ballsaal. Zwei Anfragen für Bälle liegen bereits vor, so Raback. Dann sollen 600 Gäste ins Theater passen.
Wer auf den Brettern steht, die in Potsdam künftig die Welt bedeuten, schaut unweigerlich durch die Glasfenster, die über den Zuschauerrängen den Himmel leuchten lassen. Für Vorführungen können sie mit Vorhängen verschlossen werden, ansonsten lässt sich andersherum aus dem Foyer direkt in den Saal blicken. Die einzelnen Glasscheiben sind in einem Winkel von 120 Grad zueinander eingesetzt – ein Mittel, um das größte Problem des Baus zu bekämpfen: die bisher nicht zufriedenstellende Akustik. Als die Stühle noch nicht im Saal waren, hallte ein gesprochenes Wort etwa 4,2 Sekunden nach. Viel zu viel für Sprechtheater. Grund dafür sei die Bauweise, sagt KIS-Chef Richter: Das Theater besteht aus Glas, Beton und Stahl, der Schall prallt ab. Das soll besser werden, wenn alle Stühle drin stehen – deren weicher Stoffbezug wurde vom Akustik-Experten ausgesucht – und neben dem wegen des Brandschutzes vorgeschriebenen Eisernen Vorhang auch einer aus Stoff hängt. Dann soll der Nachhall bei maximal 1,6 Sekunden liegen. Gemessen wird in der kommenden Woche. Klappt es nicht, werden „zusätzliche Akustikflächen angeordnet“, sagt Richter.
Ohne Schwierigkeiten scheint dagegen die Bühnentechnik zu funktionieren. Acht Millionen Euro hat sie gekostet, dazu gehören 190 Scheinwerfer und 15 Maschinenzüge, die ebenfalls rechnergesteuert in rapider Geschwindigkeit aus dem 23 Meter hohen Bühnenturm hinabsausen. Diverse zusätzliche Handzüge lassen sich mit Seilzügen bedienen. An alle Züge können bis zu 300 Kilo schwere Dekorationen gehängt werden. Diese fertigen 14 Mitarbeiter und zwei Azubis in der von Ulf Knödler geleiteten Theaterwerkstatt. Die Handwerker haben im Neubau zwar nicht mehr Platz, aber der sei besser aufgeteilt, meint Knödler. Tischlerei und Schlosserei liegen im Erdgeschoss – die gefertigten Kulissen können somit direkt auf die Bühne geschoben werden.
Wenig einladend wirkt der Eingangsbereich, durch den die Besucher ins Theater strömen sollen. Decken und Wänden sind schwarz und rot, es wirkt duster. Das sei Absicht von Architekt Böhm, erklärt Richter: Der Zuschauer soll sich dort nicht lange aufhalten, sondern über die rote Treppe ins Foyer hinaufgehen. Dort präsentiert sich die Potsdamer Kulturlandschaft in ihrer ganzen Schönheit – über eine Außenterrasse mit Stufen können Theatergäste bis zum Wasser spazieren.
Zahlende Besucher braucht das neue HOT möglichst viele. Die Kalkulation sieht 140 000 Zuschauer im Jahr 2010 vor, dann soll das HOT 17 Prozent seiner Ausgaben selbst erwirtschaften. In 2005 lag diese Quote bei 12,6 Prozent, gezählt wurden 98 000 Zuschauer – und damit bereits 11 000 mehr als 2004. Es habe sich aber auch die Zahl der Vorstellungen auf 106 gesteigert, so Raback. Ohne noch mehr von beidem könnte die Finanzierung des Theaters allerdings knapp werden: 8,3 Millionen Euro bekommt das HOT bisher pro Jahr von Stadt und Land, der Zuschuss für die nächsten drei Jahre ist noch nicht ausgehandelt. „Er sollte nicht sinken“, so der Theater-Geschäftsführer. Allein für die laufenden Kosten müssten im neuen Bau 300 000 Euro pro Jahr ausgegeben werden. Damit sich der Eiserne Vorhang überhaupt hebt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: