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Ein Nostalgiker. Wenn Robert Leichsenring von den alten Bahnen spricht, kommt er ins Schwärmen. Dass die Tatrabahnen in Potsdam ausrangiert werden, stimmt den Studenten traurig. Mit einem Verein restauriert er auch einen Wagen der ersten elektrischen Bahn Potsdams.

© Andreas Klaer

Seltene Leidenschaft: Total auf Bahn

Der Straßenbahn verfallen: Die ungewöhnliche Leidenschaft des Potsdamer Studenten Robert Leichsenring.

Von Eva Schmid

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Der Keller von Robert Leichsenring gleicht einem Straßenbahnmuseum: Sitze aus Tatrabahnen, Teile von Oberleitungsmasten, Schienenteile und Verkehrsschilder stapeln sich im Halbdunkel. Weiter oben, im „Straßenbahnzimmer“ seiner Zweizimmerwohnung geht es weiter: 2000 Fotos und über 400 Modellbahnen. Klarer Fall: Leichsenring ist ein Straßenbahn-Freak.

„Ich bin kein Pufferküsser“, sagt der 31-jährige Student, der an der Uni Potsdam Russisch und Polnisch im Nebenfach studiert. Pufferküsser sind Liebhaber, die von allen Bahnen ein Foto machen, Fahrpläne auswendig aufsagen können und von Fahrzeugtechnik schwärmen. „Ich beschäftige mich mit Potsdamer Bahnen, weil mich die Stadtgeschichte interessiert“, erklärt Leichsenring. Seit seinem 14. Lebensjahr ist er den Straßenbahnen verfallen. „Die Bahn ist ein Gebrauchsgegenstand wie ein Briefkasten, leider wissen die wenigsten Menschen mehr darüber“, beschreibt Leichsenring seinen Aufklärungswillen. Ihm geht es um die Dokumentation der Alltagsgeschichte. Diese teilt er mit der Öffentlichkeit auf seiner Webseite. Auch wenn er sich nur auf historisch-dokumentarisches Material beschränke, das er meist auf Ebay ersteigere, sei er am Monatsende immer pleite, gibt Leichsenring zu.

Seine Investitionen lohnen sich: Er kennt die Anekdoten und absurden Geschichten der mehr als 100-jährigen Straßenbahn-Geschichte in Potsdam. Sein Wissen gibt er immer wieder bei Stadtführungen preis. Er beginnt dann gerne mit einem Highlight aus den Anfängen: 1880 gab es die ersten Pferdebahnen in der Stadt. Die Wagen wurden von Ein- oder Zweispännern gezogen. Doch das neu angeschaffte Transportmittel konnte die Fahrgäste vom Bahnhof in die Innenstadt eigentlich nicht transportieren. Die Schienen der Pferdebahn waren für die 1823 errichtete gusseiserne Lange Brücke zu schwer.„Bis zum Neubau 1886 hat man dann für dieses kurze Stück jedes Mal beim Passieren Holzreifen auf die Räder aufgezogen – ein irrsinniger Aufwand!“. Als dann 1907, sehr spät im Vergleich zu anderen deutschen Städten, die elektrische Bahn in Potsdam fuhr, hatte im Vorfeld das Observatorium am Brauhausberg Bedenken geäußert. Man befürchtete, dass die Messungen durch die kriechenden Ströme der vorbeifahrenden Wagen gestört würden. Auch bei der am Stadtschloss vorbeifahrenden Bahn hatte man zunächst Sorge, dass das Gebimmel Kaiser Wilhelm II. stören könnte.

Stolz weist Leichsenring darauf hin, dass das ursprüngliche Straßenbahnnetz in seinen Grundzügen erhalten geblieben und bis heute genutzt wird. Die Bahnen jedoch sind rundherum erneuert worden. In der ehemaligen DDR wurden bis Mitte der 70er-Jahre die alten, zum Teil historischen Fahrzeuge verschrottet. Das sei einerseits schade, findet Leichsenring, andererseits verständlich. Aus Tschechien kamen ab Mitte der 60er-Jahre die Produktionen für die DDR. „So kleinen Betrieben wie Potsdam wurde die zweite Ware, also die Schrottwagen gegeben.“ Dennoch hat die erste elektrische Bahn überlebt: Das alte Fahrgestell war noch erhalten. Heute restauriert Leichsenring mit anderen Mitgliedern des Potsdamer Vereins Historische Straßenbahn das Bähnchen. „Die war früher unglaublich schick, mit Deckenbemalung; über den Holzsitzen waren Samtbezüge mit eingesticktem Stadtwappen.“

Wenn Robert Leichsenring von den alten Bahnen spricht, kommt er ins Schwärmen. „Ich bin schon ein Nostalgiker, besonders wenn jetzt die Tatrabahnen ausrangiert werden.“ Die eckigen Formen mit der traditionellen Technik, die auch bei minus 20 Grad noch funktioniere, das werde er sehr vermissen. Seit seiner Kindheit gehören sie für ihn zum Straßenbild. Generell ist Leichsenring ein Freund eines grünen Stadtbildes: Am liebsten möchte er den Autoverkehr aus der Innenstadt verbannen, Rasengleise und Oberleitungsbusse einführen.

Sein Freundeskreis sei mittlerweile total auf Bahnen eingestellt. Fahren seine Freunde in die Ferien, werden für ihn Fotos von Bahnen geknipst, seine Urlaubsziele sucht er sich nach deren Straßenbahnhistorie aus. Seine zweite Lieblingsbeschäftigung ist die Geschichte der Straßenbahn in Sankt Petersburg. Als Vorsitzender seines Vereins zur Förderung von internationalem Kinder- und Jugendaustausch organisiert er Führungen für deutsche Schüler in Russland und empfängt russische Schüler in ihrer Landessprache in Potsdam. Natürlich steht die Geschichte der Straßenbahn immer im Vordergrund. „Ich kann einfach nicht anders“, grinst Leichsenring.

Weitere Informationen zur Potsdamer Straßenbahngeschichte auf der Webseite von Robert Leichsenring: www.tram2000.de

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