
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Tote Dichter – lebendige Literatur
Die LiteraTour führte von längst verschwundenen Dichter-Orten zu einer Stätte der Pflege alter und neuer Dichtkunst
Stand:
Im Jahr 1750 machten der Dichter und Philosoph Voltaire (1694-1778) und der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in Potsdam die Bekanntschaft. Voltaire lebte zu diesem Zeitpunkt in einem prächtigen Landsitz, von dem aus man das Brandenburger Tor sehen konnte und der bis zum Wasser reichte. Friedrich II. hatte Voltaire den Landsitz angeboten, weil dieser sich über das arrogante Benehmen und die Menge lärmender Lakaien im Stadtschloss aufgeregt hatte. Voltaire verfasste dort bedeutsame Gedichte und Schriften, Lessing stand ihm dabei zeitweise als Sekretär zur Seite. Als Voltaire mitbekam, dass sich Lessing abfällig über ihn geäußert habe, soll er dessen Name in Le singe (deutsch: Affe) französisiert haben. Diese Anekdote war eine von vielen kleinen Geschichten, die am Samstag während der 4. Etappe der Tour de Potsdam – der LiteraTour – erzählt wurden. Dort, wo Voltaire und Lessing zusammenarbeiteten, steht heute eine der riesigen Wohnscheiben an der Neustädter Havelbucht, der Blick zum Brandenburger Tor ist längst verbaut.
Von Null auf Hundert, so könnte man die Dramaturgie der LiteraTour beschreiben, an der ausnahmslos weibliche PNN-Leser aus Potsdam und Ludwigsfelde teilnahmen. Denn nach toten Dichtern und verschwundenen Orten in der Stadt näherte sich die Fahrrad-Kolonne, die auch diesmal wieder von erfahrenen Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) begleitet wurde, dem lebendigen Dichterwort und dem lebenden Literaturbetrieb.
Doch nach dem Besuch des Neuen Marktes, auf dessen Terrain einst Goethe, Georg Hermann, der Verleger Peter Suhrkamp oder Wilhelm von Humboldt gelebt und gewirkt haben oder gar geboren wurden, galt es zunächst eine Frage zu klären: Warum gibt es in Potsdam eigentlich ein Fontane-Denkmal? Hat Fontane doch über die preußische Residenzstadt so gut wie nichts veröffentlicht. Immerhin erfahren die Tour-Teilnehmer, dass Fontane vorhatte, im dritten Teil der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ Potsdam ein Kapitel zu widmen. PNN-Chefredakteur Michael Erbach, der die Tour führte, konnte sogar erste Aufzeichnungen Fontanes zu einem Potsdam-Kapitel vorlesen – erschienen ist es nie.
Lebendige Dichterworte kamen dann von Klaus Büstrin, der vor dem Gebäude Birkenstraße 1 aus Aufzeichnungen von Reinhold Schneider und Jochen Klepper, die in diesem Hause wirkten, gekonnt las. Am Ende dann konnten die Teilnehmer der LiteraTour in der Villa Quandt im Neuen Garten Einblick in die Arbeit des Brandenburgischen Literaturbüros nehmen. Büroleiter Hendrik Röder berichtete darüber, wie literarisches Erbe gepflegt und gegenwärtige Dichtkunst gehegt wird – denn Potsdam ist und bleibt eine Stadt der Literatur. HME
HME
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