Landeshauptstadt: Totengedenken
Trauerfälle in der Familie sind tragisch. In China gibt es im Umgang damit ganz eigene Riten.
Stand:
Unsere Autorin, die 14-jährige Josefine Markarian, ist mit ihren Eltern und Geschwistern für ein Jahr von Potsdam nach China gezogen und berichtet in einer losen Serie über ihr Leben im Reich der Mitte.
Das Leben nach dem Sterben, in China ist das gerade jetzt ein wichtiges Thema: Es ist Totengedenkzeit. Die Schüler bekommen vier Tage frei, denn es ist wichtig, dass sie mit ihren Familien zu den Gräbern ihrer verstorbenen Verwandten reisen. Ein Beispiel ist meine Freundin Sang Xiao Mei. Ihre Mutter verstarb vor fünf Jahren an einer Krankheit, und ihr Tod brachte große Trauer in die Familie. So zogen auch Sang Xiao Mei und 17 weitere Familienangehörige zu dem Grab – und sie hat mir davon erzählt.
Der Aufstieg war beschwerlich, sagt Sang Xiao Mei. Jeder muss dabei etwas tragen. „Meine Schwester trug ihr kleines Kind auf dem Rücken und hielt ihre Nichte an der Hand. Ich plagte mich mit einem schweren Korb mit Geschirr auf dem Rücken ab und musste außerdem die Hühner tragen, die ich an ihren zusammengebundenen Füßen festhielt. In den letzten Tagen hatte es oft geregnet, und ich rutschte vier Mal aus und machte mir die Hose schmutzig. Aber bald waren wir da.“
Das Grab steht alleine an einem besonders schönen Stück des Berges. Es ist zwei Meter hoch, drei Meter lang und einen Meter breit. Es besteht aus schweren Marmorplatten, in die besondere Muster und Inschriften gemeißelt sind. Von hier aus hat man eine Aussicht über das gesamte Tal. „Diese Aussicht wird Mama auch in ihrer jetzigen Welt haben“, hofft Sang Xiao Mei.
Inzwischen waren alle angekommen, sagt sie. Sie verschnaufen ein wenig und breiteten ihre Mitbringsel aus: hübsch geformte Papierblätter, Kleidung, sogar Miniaturschuhe, Miniaturhandys, Spiele alles aus Papier. Auch das gehört zum Ritus, ebenso das Anzünden von Räucherstäbchen, damit die tote Mutter auch weiß, dass die Familie da ist. Es werden Hühner getötet, gekocht und in einem besonderen Muster in drei Schalen vor das Grab gestellt. Um die drei Schalen herum stellt Sang Xiao Mei sechs Schälchen mit heißem Wasser. Als dann auch der Reis über dem kleinen Feuer fertig gekocht ist, nehmen sich einige eine Schale und spritzen Wasser auf das Grab. Dann wird gegessen. „Dabei herrschte muntere, turbulente Picknickatmosphäre – schließlich geht es der Mutter im Kreise ihrer Kinder und Geschwister ja jetzt gut“, sagt Sang Xiao Mei. Nachdem alle satt sind, werden das Papiergeld und die anderen Mitbringsel verbrannt. Die Gaben sollen der Toten in ihrer jetzigen Welt dienen.
Der Aufbruch stand an. Zusammenpacken, die Gesellschaft bewegte sich wieder ins Tal hinab. Sang Xiao Meis Trauer wog da nicht mehr so schwer, erzählt sie. So ein Totengedenken lässt sie freier atmen und positiv nach vorn blicken.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: