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Von Jan Kixmüller: Touchscreen zum Treten

Studenten des Plattner-Instituts entwickeln digitalen Fußboden / Präsentation im Oktober in New York

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Die Idee war dem Potsdamer IT-Experten Patrick Baudisch während einer Jam-Session mit seiner Band gekommen. Beim Musizieren war die Frage aufgekommen, wie man den Musik-Computer bedienen soll, wenn man keine Hand frei hat. Mit den Füßen zum Beispiel. Eine Idee, die nun am Hasso Plattner Institut für Softwaresystemtechnik (HPI) in Babelsberg professionell weiter entwickelt wird. Das, was wir auf Touchscreens von Handys oder Geldautomaten schon ganz selbstverständlich machen, will nun ein Studenten-Team unter Leitung von Baudisch auf einen größeren Maßstab übertragen. Ziel ist ein interaktiver Fußboden, über den die Nutzer eine Computeroberfläche mit ihren Füßen ansteuern können.

Der Prototyp wurde in diesem Sommer zum Bachelor-Symposium des HPI präsentiert. Am 5. Oktober nun wird die Projektgruppe mit ihrem „Multitoe“ getauften Steckenpferd zu einer internationalen Konferenz für „Human Computer Interaction“ nach New York reisen, um dort ihr neuartiges System vorzustellen. „Zuhören werden Forscher aus den wichtigsten Laboren der Industrie und Fachwissenschaftler auf dem Gebiet der Interaktion zwischen Mensch und Computer“, sagte HPI-Sprecher Hans-Joachim Allgaier den PNN. Die Entwicklung von Schnittstellen, über die Menschen besser auf Rechnersysteme zugreifen können, werde immer wichtiger.

In Potsdam soll die Multitoe-Touchscreen im gerade erst eingeweihten neuen Haupthaus des HPI noch in diesem Jahr im Fußboden installiert werden. Nicht als fertige Anwendung, sondern vielmehr als Teil des Forschungslabors der IT-Gruppe um Professor Baudisch. „Damit soll erst einmal die Funktion und die Möglichkeiten der Touchscreen erforscht werden“, erklärte Allgaier. Die Frage sei etwa, wie man es anstellt, dass das System erkennt, ob jemand einfach nur über den interaktiven Boden läuft, oder ob jemand den Bildschirm aktivieren will. „Dabei handelt es sich um Grundlagenforschung.“

In den nächsten Monaten soll der Multitoe-Fußboden für das neue „Multi Display Lab“ in der dafür ausgesparten, fast drei mal zwei Meter großen Öffnung im Fußboden des zweiten Stockwerks im HPI-Neubau installiert werden. Zuvor müssen noch zahlreiche Sicherheitsprüfungen abgeschlossen und ausgewertet werden. Unter anderem muss natürlich auch die Bruchfestigkeit der Glasplatte gewährleistet werden. Für die Forschung sei nun vor allem interessant, was der Multitoe-Fußboden durch seine Größe den bislang gebräuchlichen Touchscreens voraus hat. „Die Frage ist, ob der Fuß nur Maus-Ersatz ist, oder noch ganz neue Möglichkeiten eröffnet“, so Allgaier.

„Unsere Vision: Zu Fuß durch das digitale Leben spazieren“, sagt der 22-jährige Konstantin Käfer, der zusammen mit seinen Kommilitonen an dem Projekt arbeitet. „Wir stellen uns vor, dass in ganzen Räumen jede Fläche touchsensitiv ist, und dass man mit jeder Fläche interagieren kann, mit Wänden, Schreibtischen und dem Fußboden.“ So könne man auf dem Boden sitzen und persönliche Daten um sich gruppieren, etwa Rechnungen für die Steuererklärung.

Das junge Forscherteam musste einige Probleme lösen, die es beim Touchscreen-Handy nicht gibt. Beim Laufen auf dem Boden wird der Bildschirm die ganze Zeit berührt. Und im Unterschied zur Hand kann man immer nur einen Fuß für Befehle auf dem Display verwenden. Zudem ist der Fuß etwa 200 Mal größer als ein Finger. Die Lösung dafür fanden die Studenten in einer geschickten Verbindung von Hardware und Software. Entwickelt wurde eine optische Reflexionstechnik mit der Bezeichnung FTIR (Frustrated Total Internal Reflection): Ähnlich wie bei einem Fingerabdruck-Scanner macht Licht aus einer Leiste von Leuchtdioden nur diejenigen Bereiche der Schuhsohle sichtbar, mit der ein Fuß auf einem 3,4 Zentimeter dicken Sicherheitsglas auftritt.

Das Programm erkennt unterschiedliche Bewegungsmuster der Füße: Wenn ein Nutzer ohne Absicht über die Fläche läuft, setzt er mit der Ferse auf und rollt den Fuß über den Ballen ab. Ganz anders sieht der Sohlenabdruck aus, wenn man mit dem Fuß auf eine Schaltfläche tippt, um eine Aktion auszulösen. „Wenn ein Nutzer ein Menü aufrufen will, muss er nicht immer an den Rand laufen“, erklärt Konstantin Käfer, der sich im „Multitoe“-Team vor allem mit der Präzision der Fußsteuerung beschäftigt hat. „Es genügt, dass er kurz hochspringt.“ Caroline Fetzer hat für das Projekt mehr als 60 Personen dabei beobachtet, wie sie sich mit den Füßen auf dem interaktiven Boden bewegen. „Füße können mehr, als wir denken und annähernd so präzise sein wie Hände“, erkannte die 21-jährige Absolventin.

Betreut wird das Projekt von Patrick Baudisch, der am HPI das Fachgebiet Human Computer Interaction leitet. „Wir wollen fünf bis zehn Jahre in die Zukunft schauen und fragen uns, welche Rolle dann ein interaktiver Fußboden spielen könnte“, erklärt der Informatik-Professor. So sei es denkbar, diese Technik in Altenheimen einzusetzen. Über die Beobachtung der Fußbewegungen könne auch ohne unerwünschte Kamera-Überwachung überprüft werden, ob es den Bewohnern gut gehe. Schon jetzt können den Schuhsohlen auch die Profile bestimmter Personen zugeordnet werden.

Patrick Baudisch, der vor seinem Einstieg in Potsdam in einem Forschungslabor von Microsoft in den USA gearbeitet hat, will den Studenten frühzeitig Forschungskarrieren aufzeigen. Diesen Ansatz habe er aus Amerika mitgebracht. Was offenbar Wirkung zeigt. Caroline Fetzer will in der Forschung bleiben. Nach ihrem Bachelor-Abschluss will sie zunächst die Beziehungen zwischen Psychologie und Informatik ausloten. Ihr Ziel ist es dann, Technik entwickeln zu können, die für alle Benutzer einfach bedient werden kann.(mit dpa)

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