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Von Günter Schenke: Tour de condition

Die Schlössernacht bot ein Mammutprogramm mit viel Erlebnis. Doch ist sie schöner als ein Frühlingstag im Park?

Stand:

Sanssouci – 346 Künstler an 38 Spielorten – wie können Besucher der Schlössernacht das verkraften? Wohin geht es zuerst? Und bleibt am Ende noch genug Kraft, nach Mitternacht das Feuerwerk zu erleben? Wer für die mühsam ergatterte 42 Euro teure Eintrittskarte alles mitnehmen will, ist schlecht beraten. Sinnvoll ist nur die Auswahl.

Die „Bibliothek Knoll“ ist solch ein Wahlobjekt. 9000 Bände stehen in der Villa Liegnitz, im „grauen Ungeheuer“, wie Bibliothekarin Hannelore Röhm das marode aussehende Haus nahe dem Grünen Gitter nennt. Nur jeweils 15 Besucher sind in zwei Führungen zugelassen. Sie betreten über eine steile Eingangstreppe das Haus der zweiten Ehefrau von Friedrich Wilhelms III., sitzen auf barock aussehenden Stühlen aus dem Gästehaus der DDR-Regierung Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow und hören von der ungewöhnlichen Sammlung des verstorbenen Dr. Gerhard Knoll, der alle – auch die kleinsten – Bücher zusammengetragen hat, die Friedrich II. betreffen, insgesamt 9000 Bände. „28 laufende Meter Bücher, die Friedrich II. geschrieben hat, und vier Meter Voltaire“, erläutert Röhm. Ihr Sohn geht mit den kostbaren Werken reihum und zeigt sie den staunenden Besuchern. 2012 feiert die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten den 300. Geburtstag Friedrichs II. Dazu kommt die Sammlung Knoll gerade recht. Die Staatsbibliothek wollte sie nicht. Sie war nicht billig. „Eigentlich unbezahlbar“, so die Bibliothekarin.

Im nächtlichen Park im Grase liegen und Musik hören, das ist vielleicht der nächste Wunsch nach der Bücherschau. Der Freundschaftstempel bietet sich an. Die Karte im Programmführer der Schlössernacht informiert über die „Gehminuten von Bühne zu Bühne“. Danach dauert der Fußmarsch von der Villa Liegnitz bis zum Freundschaftstempel 30 Minuten – ein langer Marsch über die Hauptallee vorbei an den Menschenmassen, die auf den Weinberg pilgern, die Etagen der Orangerie bevölkern und durch das Felsentor drängen. 33 000 Gäste sind im illuminierten Park auf circa 60 000 Quadratmetern Wegen und Plätzen unterwegs. Und wer die übervölkerte Gastronomie am „Affengang“ verpasste, dem steht ein staubig-trockener Weg zum Freundschaftstempel im Rehgarten bevor.

Dort angekommen, erwartet ihn ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus. Hier sitzt nicht nur die fabrikneu wirkende Marmor-Statue der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, sondern auch zwei Musikerinnen in historischen Gewändern: Ulrike Fabienke mit der Oboe und Helgrid Pippig am Cembalo. Die Zuhörer vor dem angestrahlten Tempel genießen das schöne Spiel, strecken sich wohlig auf mitgebrachten Decken aus oder ruhen in ihren Klappstühlen.

Jäh unterbrechen krachende Geräusche vom benachbarten Event am Neuen Palais den Genuss. Dort geht es um Preußens Kriege und Frauen. Königin Elisabeth Christine, Ehefrau Friedrichs II., gehört der Ankündigung zufolge zu den „starken Frauen“ Preußens. „Ick wusste jar nich, det Friedrich II.’ne Frau hatte“, bemerkt ein Berliner. Die fast vergessene Königin wohnte in Schloss Schönhausen, aus dem die Sitzmöbel im Foyer der Villa Liegnitz stammen. Friedrich II. hat Schönhausen niemals besucht.

Wohin jetzt nach dem zerstörten Konzert am Freundschaftstempel? Vielleicht auf einen Tee am Chinesischen Haus? 20 „Gehminuten“ dauert es bis dahin. Ein Wagen der Schnellen Medizinischen Hilfe eilt vom Kuhtor aus in den Park, vielleicht erlitt jemand einen Schwächeanfall. Menschen drängen sich um den chinesischen Teeausschank oder wollen sich mit Frühlingsrolle oder Sesambrötchen stärken. Die Sitzplätze an den zahlreichen Teetischen sind alle besetzt. Wer sitzt, der sitzt und wartet auf die nimmermüde freundliche chinesische Bedienung. Gegenüber glitzert golden das von Scheinwerfern angestrahlte Chinesische Haus. Im Gänsemarsch strömen die Menschen hinein und wieder zurück.

Die Dunkelheit ist inzwischen komplett, ein künstlicher Mond erleuchtet neben dem echten die große Naturwiese. Viele Leute quetschen sich durch die kleine Pforte der Parkgärtnerei. Auch hier Scheinwerfer: Löwenmäulchen bei Nacht. Wer sich rechtzeitig vor Mitternacht in Richtung Neues Palais aufgemacht hat, erlebt eine imposante Himmelsschau. Nach drei Glockenklängen wie im Kino gibt es um 0.30 Uhr die ersten Knaller und Raketen, 13 Minuten später ist der Zauber vorbei. Frenetischer Beifall brandet auf.

Die Schlössernacht, die den Besuchern viel abverlangt, ist nach aller Meinung trotzdem ein großes Erlebnis. Vor allem Einheimische wissen: Der nächtliche Event kann einen schönen Frühlingstag im Park Sanssouci nicht toppen. Der ist stressfrei und kostet allenfalls einen freiwilligen Parkeintritt.

Günter Schenke

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