Landeshauptstadt: Trauerzug so lang, dass er geteilt wurde
Nachfahren des 1946 von Russen erschossenen Stadbaurats Arno Neumann meldeten sich bei den PNN
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Am 3. August 1946 wurde Potsdams erster Stadtbaurat nach dem Kriege, Arno Neumann, auf der Langen Brücke von russischen Posten erschossen. Dem tragischen Schicksal des Architekten, der durch seine kühnen Entwürfe zum Wiederaufbau der Stadt Aufsehen erregte, gingen die PNN bereits im März in ihrem Beitrag „Der Tod des Stadtbaurates“ nach. Den Anstoß dazu hatte Arne Paul Neumann, ein Enkel des Stadtbaurats, gegeben.
Dadurch konnten neue Aspekte zu Leben und Wirkens der stadtgeschichtlich bedeutenden Persönlichkeit erschlossen werden. Dazu hatte vor allem der Historiker Thomas Wernicke geforscht und publiziert. Über Neumanns Lebensweg konnte er jedoch wegen der fehlenden Quellen nur wenige Angaben machen. Auf März-Beitrag hin haben sich nun mit Tochter Eva-Maria Berger und Enkel Ralph Berger weitere Angehörige gemeldet. Sie ergänzten die Informationen und stellten einige richtig.
Eva Maria Berger, die damals 21 Jahre alt war, schildert die Vorgänge in der Todesnacht: „Als wir in gemäßigtem Tempo über die Lange Brücke fuhren, schossen russische Soldaten, ohne Stoppzeichen mit ihrer roten Fahne zu geben, gezielt auf uns. Mein Vater fiel nach vorn ... und sagte noch: ''Kinder, lasst mich ruhig sterben''. Die Betonung lag auf ''ruhig''. Er schaffte es noch, das Auto rechts in die Seitenstraße, die zur Mühle führt, auslaufen zu lassen. Ich schrie wie am Spieß, und schon war ein Russe am Wagen ... und fragte, ob einer von uns fahren könnte ... Mein Vater wurde auf den Beifahrersitz gezogen und wir sollten schnellstens verschwinden, denn die Russen fürchteten einen Menschenauflauf.“ Der von der Familie aufgenommene 17-jährige Jugendfreund Ulrich von Mosch fuhr den Verletzten dann zum einige hundert Meter von der Neumannschen Wohnung entfernten Städtischen Krankenhaus in Babelsberg. „Man wollte meinen Vater erst nicht aufnehmen, aber ein Arzt oder Pfleger erkannte ihn und man behielt ihn dort“, erinnert sich Eva-Maria Berger.
Als Tochter war sie in Hintergründe eingeweiht, die der ebenfalls von den PNN als Augenzeuge befragte von Mosch nicht kannte. Der dem Vorfall auf der Langen Brücke vorausgehende „private Besuch“ bei einem Freund in Berlin diente in Wirklichkeit der Teilnahme an einer Kundgebung, auf der Arno Neumann als Redner auftrat. „Wir ''Kinder`“, so Eva-Maria Berger, „wurden in der Zwischenzeit ins Kino geschickt.“ Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde auf der Kundgebung gegen die im Mai 1946 erfolgte Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED protestiert. „Mein Vater ist nie zur SED übergewechselt“, bezeugt Frau Berger. Dies ergab sich auch aus Arno Neumanns Lebensweg und politischem Werdegang, über den seine Tochter den PNN ebenfalls bisher unbekannte Fakten mitteilte. Am 11. Februar 1892 als Sohn des späteren ersten sozialdemokratischen Ortsvorstehers Paul Neumann in Nowawes geboren, wurde er nach dem Schulbesuch, für dessen glänzenden Abschluss ihm sein Vater eine Frankreich-Reise spendierte, und einem Studium an der Technischen Universität Berlin dann im Ersten Weltkrieg zur motorisierten Truppe eingezogen. 1918 heiratete er, aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor. Mit seinem Vater organisierte er im März 1920 in Nowawes den Widerstand gegen den Kapp-Putsch, der die Errichtung einer Militärdiktatur in Deutschland zum Ziel hatte. Sämtliche 26 Betriebe des Ortes nahmen an dem dagegen gerichteten Generalstreik teil. Eva-Maria Berger erinnert sich, dass die beiden Neumanns damals die Spitznamen „König Paul und Kronprinz Arno“ bekamen.
In den 20er Jahren eröffnete Arno Neumann in Nowawes ein Architekturbüro und baute vor allem in Stahnsdorf und Umgebung zahlreiche Häuser. Da er den Beitritt zur NSDAP verweigerte, wurde ihm nach 1933 die Lizenz entzogen; er fand dann eine Anstellung in einem Gemeinschaftsbüro in Berlin. In all seinen Lebensstationen blieb Neumann seinen Überzeugungen treu. „Einer meiner Onkel, der Jude war, wurde aus dem KZ mit der Auflage entlassen, innerhalb von 24 Stunden Deutschland zu verlassen“, berichtet Eva-Maria Berger. „Mit einem geliehenen Auto brachte ihn mein Vater sofort an die Küste, wo er noch rechtzeitig ein Schiff nach England erreichte. Bis auf einen Neffen sind alle Angehörigen meines Onkels im KZ vergast worden.“ Auch anderen Juden habe er zur Flucht verholfen.
Als sich die russischen Truppen im April 1945 Babelsberg näherten, „ging mein Vater zu den im Wald verschanzten Volkssturmmännern und bewog sie dazu, die Waffen niederzulegen“. Nach Kriegsende zunächst zum Dezernenten für Wiederaufbau, dann zum Stadtbaurat berufen, katzbuckelte Neumann auch vor dem sowjetischen Stadtkommandanten Oberst Andrej S.Werin nicht. An den Wachen vorbei drängte er sich in dessen Büro, um die Freigabe von Mehl für die hungernde Bevölkerung zu fordern. Von diesem mutigen Auftreten zeigte sich der Offizier sehr beeindruckt und genehmigte die Zuteilung.
Neben seinen Entwürfen für den Wiederaufbau der Stadt legte Arno Neumann ein Projekt für die Umwandlung des Bornstedter Feldes in einen riesigen Obst- und Gemüsegarten vor, um die Krankenhäuser, die Schulen und die Bevölkerung zu versorgen. Er begann es mit seinem Bruder Kurt, der Gärtner war, zu verwirklichen.
In einem von Eva-Maria Berger wieder aufgefundenen Brief an einen Freund schrieb Kurt Neumann am 26. September 1946, die entstehende Plantage sei „Arnos Lieblingsplatz gewesen, den er fast täglich aufgesucht habe. „Unser Stadtbaurat ist nicht mehr“, stellt er schmerzerfüllt fest. „Für Potsdam ist er unersetzlich ... Nicht nur in unserer Gemüseanlage, sondern im Bauhof und an vielen anderen Stellen fehlt der treibende Motor ... Drücken wir uns in stillem Gedenken die Hände.“
Stadtkommandant Werin soll schockiert gewesen sein, als er von der Erschießung des Stadtbaurats auf der Langen Brücke erfuhr. Er versuchte sich bei der Familie Neumann zu entschuldigen und teilte mit, dass die an der Schießerei beteiligten Soldaten exekutiert worden seien. Arno Neumann wurde im Bauhof an der Priesterstraße (heute Henning-von-Tresckow-Straße) aufgebahrt, den er 1945 aus Handwerkern und Künstlern aufgebaut hatte. Von dort ging der Trauerzug zum Goethefriedhof nach Babelsberg. „Er war so lang, dass er geteilt wurde und sich die Babelsberger erst am so genannten Übergang anschließen durften“, erinnert sich Eva-Maria Berger. „Es gab auch eine Totenmaske meines Vaters, die aber eigentümlicherweise plötzlich verschwunden war.“
Neumanns Sohn Paul ging Ende 1949 in den Westen, nachdem er anonym vor einer drohenden Verhaftung gewarnt worden war. „Auf dem Zettel, der durch den Briefschlitz geschoben wurde, stand nur ''Alarmstufe 1''“, berichtet seine Schwester. Er stammte wahrscheinlich von einer mit Paul Neumann befreundeten Volkspolizistin. Paul floh sofort und erreichte durch den Babelsberger Park Westberlin; Eva-Maria brachte ihm über die Glienicker Brücke einen Koffer mit Sachen nach. 1956 ging auch sie in den Westen. Sie folgte ihrem Ehemann, den sie zwei Jahre zuvor geheiratet hatte. Dabei war eine im Neumannschen Hause wohnende Staatsanwältin behilflich. Die Witwe des Stadtbaurats, Anni Neumann, lebte dagegen bis zu ihrem Tode 1967 weiterhin in Babelsberg.
Erhart Hohenstein
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