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Homepage: Treffer nicht ausgeschlossen

Der Asteroid „2004 MN4“ schießt 2029 knapp an der Erde vorbei. Danach ist seine Laufbahn noch offen

Stand:

Dr. Rainer Arlt zeigt ganz oben auf die Tabelle. „2004 MN4“ führt eine lange Liste von Asteroiden an, die der Erde einmal zu nahe kommen könnten. Im vergangen Jahr hatte der US-Astronom Dave Tholen den Asteroiden entdeckt, erst ein Punkt, dann mehrere Punkte, dann wurde eine Laufbahn daraus. Dr. Arlt, Wissenschaftler am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP), zeichnet mehrere Punkte auf ein Blatt, dann zieht er eine elliptische Linie hindurch. Nach ersten Berechnungen war klar: Ausgerechnet an einem Freitag den 13. im April 2029 wird die Laufbahn des 300 bis 400 Meter großen Felsbrockens die der Erde kreuzen. Im schlimmsten Falle könnte es zum Impact, dem Einschlag kommen, vermuteten die Wissenschaftler. Sein Entdecker taufte den Asteroiden auf den Namen „99942 Apophis“, nach einer ägyptischen Schlangengottheit, die für Finsternis, das Böse und Chaos steht.

Weitere Berechnungen ergaben dann, dass „2004 MN4“ im Jahr 2029 in einer Entfernung von rund 35 000 Kilometern die Erde passieren wird. „Das ist sehr knapp, gerade mal ein Zehntel der Entfernung Erde-Mond“, rechnet Dr. Arlt vor. Aber knapp ist auch vorbei: für 2029 gaben die Forscher Entwarnung, eine Kollision von Apophis mit der Erde wurde ausgeschlossen.

Jetzt im Dezember sind die Bäume rund um das AIP am Park Babelsberg kahl, durch das Geäst scheint das wenige Licht des düstere Winterhimmels. Plötzlich bricht die Sonne aus den Wolken hervor, ihr Licht spiegelt sich für einen kurzen Moment in der Kuppe der Sternwarte. Ein kleines Himmelsspektakel, nichts besonderes eigentlich, doch wesentlich spektakulärer als der Durchgang von Apophis im April 2029. Der Asteroid wird dann allenfalls als winziger, langsam vorbeiziehender Lichtpunkt am Nachthimmel zu sehen sein, wenn überhaupt.

Wäre da nicht die Sache mit den „Keyholes“, den so genannten „Schlüssellöchern“. „Eine subtile Angelegenheit“, sagt Arlt und sucht auf seinem Laptop weitere Tabellen. Wenn Apophis 2029 knapp an der Erde vorbei rauscht, wird seine Flugbahn durch die Gravitation unseres Planeten abgelenkt. Je nach dem, an welcher Stelle der Asteroid vorbeifliegt, kann seine Bahn so geändert werden, dass er bei einem späteren Termin – der Asteroid passiert die Erde etwa alle sieben Jahre – zum Volltreffer wird. Wenn der Brocken also in 24 Jahren durch ein bestimmtes „Keyhole“ fliegt, dann wird er 2036 auf die Erde stürzen. Bei seiner Größe ein Ereignis mit verheerende Folgen. „Zwar kein Massensterben, aber großräumige Zerstörung“, schätzt Arlt die Folge des Impacts.

Wenn er ins Meer stürzt, wäre ein enormer Tsunami die Folge, ein Treffer auf Land würde eine gewaltige Explosion nach sich ziehen: wenn der Himmelskörper in der Erdkruste stecken bleibt, wird seine kinetische Energie zu Hitze, das verdampfende Gestein macht sich dann mit einem Big-Bang Luft, der ein vielfaches der Kräfte einer Atombombe zusammen bringt. Die Wucht ist enorm. Allein ein vergleichsweise kleiner Meteorit von rund 25 Metern Durchmesser und einer Masse von 65 000 Tonnen hat vor mehr als 20 000 Jahren den Krater am Canyon Diabolo in Arizona hinterlassen, der heute einen Durchmesser von 1186 Metern hat und 167 Meter tief ist.

In der Erdgeschichte sind Einschläge von Asteroiden keine Seltenheit. Vor allem in jungen Jahren wurde die Erde von solchen Brocken, die in unserem Sonnensystem ihre Bahnen ziehen, geradezu beschossen. Mittlerweile ist das meiste Material aus der Frühzeit unseres Sonnensystems auf Planeten und Monden gelandet. Zuletzt machte im Juni 1908 ein Meteorit, der über der sibirischen Tunguska-Region explodierte, 2000 Quadratkilometer Wald dem Erdboden gleich. Die Luftdruck-Schwankungen waren noch in London messbar. Das Aussterben der Dinosaurier wird einem Asteroiden-Einschlag vor rund 65 Millionen Jahren nahe der heutigen Halbinsel Yukatan zugeschrieben. Vor etwa 250 Millionen Jahren waren plötzlich 70 Prozent der Landtiere und 90 Prozent der Meeresbewohner ausgestorben. Auch hier wird ein gewaltiger Asteroideneinschlag mit einem folgenden Klimawandel als Ursache vermutet.

Eigentlich beschäftig sich Dr. Arlt nicht direkt mit Asteroiden, „Dynamowirkung und Drehimpulstransport in globalen Akkretionsscheibenmodelle“ lautete der Titel der Doktorarbeit des jungen Forschers. Doch für einen so spektakuläreren Fall wie Apophis hat Arlt immer Zeit. Schließlich ist er auch Mitglied der International Meteor Organization. Im Falle von „2004 MN4“ nun hat die Menschheit die einzigartige Möglichkeit, etwas im Vorfeld zu unternehmen. 2013 passiert der Asteroid die Erde erneut in etwa 15 Millionen Kilometern Entfernung. „Dann wird es interessant, hier könnte man mit genauen Messungen feststellen, ob der Asteroid 2029 durch das Keyhole fliegen wird“, so der Physiker. Einfach ist die Berechnung allerdings nicht, denn zu der Gravitation der Erde kommen noch durch Licht und Rotation hervorgerufene Abweichungen der Laufbahn hinzu. Sollte allerdings einen Treffer prognostiziert werden, hätte die Menschheit noch Zeit sich zu überlegen, wie man den Asteroiden von seiner Bahn abbringen könnte. Etwa, indem man ihn mit einem anderen großen Gegenstand kollidieren lässt. Allerdings ein Vabanque-Spiel, schließlich hat man mit solchem Weltraum-Billard noch keinerlei Erfahrungen.

Rund 3200 Asteroiden sind den Astrophysikern in unserem Sonnensystem bekannt, die die Erdbahn kreuzen, etwa 1000 davon kommen der Erde nahe. Doch für die können die Forscher eine Kollision ausschließen. Auch für „2004 MN4“ ist am Ende die Chance eines Treffers statistisch sehr gering. Das Schlüsselloch hat nur einen Durchmesser von rund 600 Metern. Rainer Arlt liest aus den Unterlagen eine Wahrscheinlichkeit von nur 0,02 Prozent für einen Treffer heraus. Doch es gibt noch vier andere Schlüssellöcher. Der Physiker stockt etwas beim Blick auf die Daten. Das Keyhole für 2046 habe noch niemand erwähnt. „Und das ist auch recht groß.“

Der Impact im Internet:

http://impact.arc.nasa.gov/biblio.cfm

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