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Landeshauptstadt: Trockene Schuhe mit den Neuesten Nachrichten Tilo Catenhusen ist PNN-Leser der ersten Stunde –

die Zeitung war für ihn immer etwas Besonderes

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Wenn Tilo Catenhusen am Morgen seine Stühle um den Frühstückstisch zurecht rückt, folgt er einem festen Ritual: „Ich setze mich auf den Stuhl hier, dann zieh ich mir den zweiten heran und lege meinen rechten Arm auf die Lehne“, erklärt Catenhusen. Aus jahrelanger Erfahrungen hat der Orgelbauer im Ruhestand für sich die perfekte Haltung zum Lesen der großformatigen PNN entwickelt. „Dann sitz’ ich ungefähr so“, sagt er breit lächelnd und und schlägt die aktuelle Ausgabe der PNN mit einem kräftigen Schwung auf – so dass dabei auch die bunten Tulpen in der Vase auf dem Frühstückstisch in Bewegung geraten.

Jeden Morgen die neuesten Nachrichten zum Tee, in Catenhusens Arbeitszimmer mit der Aussicht über die Potsdamer Waldstadt – und das schon seit vielen Jahren, um nicht zu sagen, seit es die Zeitung gibt. Tilo Catenhusen ist PNN-Leser der ersten Stunde. Schon vor 60 Jahren, als sich die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ noch „Brandenburgische Neueste Nachrichten“ nannten, blätterte er als Jugendlicher in dem Blatt, das seine Eltern abonniert hatten. Bis heute ist Catenhusen der Zeitung treu geblieben.

„Eine Tageszeitung braucht man“, sagt der 73-Jährige mit der viereckigen Brille und den zu einer Seite glatt gekämmten grauen Haaren. Gemeinsam mit seinen Eltern ist Catenhusen in Fahrland groß geworden. Sein Vater war Pastor, die Familie lebte im großen Pfarrhaus. So lange sich Catenhusen erinnern kann, lag auch dort jeden Morgen eine Zeitung auf dem Tisch – seit 1951 waren das die „Brandenburgischen Neusten Nachrichten“.

„Damals, als die Zeitung hier rauskam, war das ja eine völlig andere Zeit“, sagt Catenhusen, der noch unter dem Nazi-Regime eingeschult wurde. „Bum, bum, bum – die Hitler-Jugend marschiert“, erzählt Catenhusen von der Propaganda in den alten Schulbüchern. „Das Damals kann man nicht vergleichen mit der DDR-Zeit und schon gar nicht mit der heutigen“, sagt er, während er behutsam die aktuelle PNN wieder zusammenfaltet und sich zu seinem Mini-Cembalo neben seinem Frühstückstisch hinüberbeugt. Hier legt er die Zeitung vorsichtig ab, wird nachdenklich. „Passt auf, dass ihr nicht in so ein Ungewitter kommt. Frieden und Freiheit sind das höchste Gut für die Menschen.“

Ganz bewusst hätten sich seine Eltern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der DDR für die „BNN“ entschieden, der Zeitung der NDPD, erzählt Catenhusen. Die National-Demokratische Partei Deutschlands setzte sich damals als sogenannte Blockpartei für den Mittelstand ein. Noch gut kann sich Catenhusen an die vielen Annoncen der kleinen und mittleren Betriebe erinnern, die gerade zu Weihnachten oder Ostern das Blatt füllten. „Die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten, das war damals der Mittelstand.“

Eine der Annoncen war es wohl auch, die den Abiturienten damals auf Orgelbauer Schuke aufmerksam machten. „Ich dachte, ich brauche eine solide Ausbildung.“ Schon als „junger Bengel“ habe er sich für Orgelmusik interessiert. „Ich fand Musik immer toll.“ 1957 startete er dann seine Ausbildung bei dem bekannten Potsdamer Orgelbaubetrieb.

„Meine erste Aufgabe war es, die Nägel gerade zu kloppen“, erzählt er. „Es gab ja nichts.“ Zur Armee musste Catenhusen nie – „ich hatte Glück“, sagt er. Sein Chef hatte immer dafür gesorgt, dass seine jungen Angestellten während der Zeit der Einberufung im Ausland unterwegs waren. Ganz zufällig natürlich. „Man war doch als Orgelbauer ein Exot“, erzählt Catenhusen. Anders als die meisten DDR-Bürger durften sie ihrer Profession auch im Ausland nachgehen. So baute und reparierte Catenhusen nicht nur Orgeln in Stralsund oder dem Brandenburger Dom, sondern auch in westdeutschen Kirchen bei Bonn, Berlin, Düsseldorf oder Köln. „Der Orgelbau“, sagt Catenhusen, „das war eine Insel.“ So konnte er außer in Russland später auch in Italien oder der Schweiz arbeiten – „und den Ostzonen-Mist für ein paar Wochen vergessen.“

„Hier“, sagt Catenhusen und springt mit einem Ruck plötzlich von seinem Stuhl auf. Von seinem Schreibtisch reicht der Rentner einen Stapel Papierbögen herüber. „Meinen Spaß hab’ ich immer an den Zeitungs-Kalendern“, erklärt er und zieht ein paar der Bögen aus ihrer Schutzfolie. Der älteste ist auf das Jahr 1977 datiert. „Ich will die nicht von irgendeinem anderen Anbieter, ich will die von den PNN haben“, sagt Catenhusen. Fein säuberlich hat er in den schmalen Spalten der Din-A4 großen Kalenderblätter seine damaligen Reiseziele eingetragen. Daneben steht die Tagestemperatur: 3. April 23 Grad. „Das ist mein Tagebuch“, sagt Catenhusen.

1965 hat Catenhusen seine Frau Sieglinde geheiratet. Drei Jahre später kam das erste Kind, 1975 das zweite. Die Kinder aufzuziehen, war nicht leicht, sagt Catenhusen. Besonders für seine Frau. „Sie war oft wie eine Alleinerziehende.“ 1970 bekam die Familie die erste eigene Wohnung in der Potsdamer Waldstadt. „Wir haben zehn Jahre darauf gewartet.“ Noch heute wohnen Catenhusens in der fünfte Etage des Plattenbaus im Grünen. 70 Stufen sind es vom Briefkasten bis zum Frühstückstisch. „Lesen hält fit“, sagt Tilo Catenhusen mit einem Augenzwinkern.

„Ich fang immer bei der ersten Seite an, dann gucke ich, ob auf der dritten Seite etwas interessantes ist.“ Auch der Potsdam-Teil sei jeden Morgen Pflicht. „Die Kulturseite lese ich oft.“ Und dann, wenn die PNN ausgelesen sind, sei die Zeitung auch noch für viele andere Dinge gut: „Wir haben immer einen Stapel zu Hause“, sagt Catenhusen. „Die eignet sich gut zum Schuhe trocknen.“ Auch in seiner Gartenlaube in Rehbrücke hat der frühere Orgelbauer immer ein paar alte Ausgaben zu liegen. „Die kommen in die Kartoffelkisten rein“, sagt Catenhusen. Manchmal, wenn er dann die Blätter in die Kisten legt, liest er die PNN nochmal. „Damit verbringt man dann meist mehr Zeit als mit der aktuellen Ausgabe am Morgen.“

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