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Landeshauptstadt: Trotz Fusion Hintertürchen für Klinikum-Privatisierung

Gesellschaftervertrag schon formuliert / Stadt behält Mehrheit im Verhältnis eins zu fünf / Sozialausschuss votiert für Grundsatzbeschluss

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Gesellschaftervertrag schon formuliert / Stadt behält Mehrheit im Verhältnis eins zu fünf / Sozialausschuss votiert für Grundsatzbeschluss Von Sabine Schicketanz Innenstadt. Der Gesellschaftervertrag für die Fusion des St. Josefs Krankenhauses mit dem Klinikum Ernst von Bergmann zum 1. Januar 2004 liegt bereits vor. Danach wird die Stadt mit einem Verhältnis von eins zu fünf Mehrheitsgesellschafter des fusionierten Gemeinschaftskrankenhauses sein. Der Vertrag sehe zwar keine „materielle Privatisierung“ des Klinikums vor, lasse aber ein Hintertürchen dafür offen, sagte Andreas Ernst, Fachbereichsleiter Beteiligungs-, Finanz- und Personalsteuerung, am Dienstagabend im Sozialausschuss. Eine komplette Privatisierung des Klinikums mit rund 2000 Mitarbeitern hatte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erst in der vergangenen Woche ins Gespräch gebracht. Entscheiden müssen die Stadtverordneten aber zunächst über die Fusion des städtische Klinikums mit dem katholischen Krankenhaus – ein bundesweit bisher einmaliger Vorgang. Am 1. Oktober soll in der Stadtverordnetenversammlung der Grundsatzbeschluss für den Zusammenschluss auf den Tisch kommen. Vom Sozialausschuss bekam die Vorlage am Dienstag eine positive Empfehlung. Mit dem Grundsatzbeschluss kann die Stadt mit den kostenpflichtigen Vorbereitungen der Fusion beginnen. „Neben einer gegenseitigen Tiefenprüfung – beide Gesellschafter schauen in die Unterlagen des jeweils anderen – , wird dann ein Wirtschaftsprüfer Gutachten zum Wert beider Häuser anfertigen“, erklärte Fachbereichsleiter Ernst. Nach diesen wird sich die Gesellschafter-Beteiligung von Klinikum und St. Josefs am Gemeinschaftskrankenhaus richten. Denn der Grundsatzbeschluss sieht vor, dass die Gesellschafter „im Umfang ihres eingebrachten Vermögens“ beteiligt werden. Vor zahlreichen im Sozialausschuss erschienenen, besorgten Krankenhausmitarbeitern musste Ernst einräumen, dass es zwischen Verwaltung, Krankenhausleitungen und Mitarbeitern bisher eine „Kommunikationsstörung“ gegeben habe. Dies bestätigte auch Ivo Litschke von der Gewerkschaft verdi. „Die Aussagen waren für uns überwiegend Neuland“, sagte er am Ende des Gesprächs. Darin hatte Fachbereichsleiter Ernst die „Soll-Bruchstellen“ der Fusion angesprochen: Es werde keine betriebsbedingten Kündigungen und keine Verschlechterungen der Arbeitnehmerrechte und der Bezahlung nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes geben, versprach er. „Kein einziger Arbeitsvertrag wird angetastet werden.“ Die Sorge, nicht konfessionelle Mitarbeiter könnten künftig schlechter gestellt sein, wies Ernst als unbegründet zurück. Noch immer „ausgeklammert“ aus den Verhandlungen sind die Besetzungen der medizinischen Stellen – zwei Chefärzte beispielsweise für die Gynäkologie kann es auf Dauer nicht geben. Nach Angaben von Reinhard Nieper, Geschäftsführer des St. Josefs Krankenhauses, soll sich eine noch zu gründende Arbeitsgemeinschaft Medizin mit diesen Fragen befassen. „Dort erwarten wir Vorschläge von den Mitarbeitern.“ Die Gewerkschaft verdi befürchtet Probleme vor allem bei der Zusammenführung der Mitarbeiter beider Einrichtungen. Während das Klinikumpersonal nach den Tarifen im öffentlichen Dienst bezahlt werde, könne das St. Josefs als kirchliches Krankenhaus „sein Recht selbst gestalten“, sagte verdi-Gewerkschaftssekretär Ivo Litschke. „Kommunaler Arbeitgeberverband und Caritasverband – das beißt sich mächtig.“ Litschke betonte jedoch auch, dass deutlich geworden sei, „dass hier Synergieeffekte nicht zu Lasten der Mitarbeiter“ erzielt werden sollten. „In vielen Punkten liegen wir nicht weit auseinander, wir hätten sie nur gerne in der Beschlussvorlage.“ Die Personalfragen soll laut Ernst eine Arbeitsgruppe mit Beteiligung von Arbeitnehmern, Gewerkschaft und Marburger Bund klären, die am Montag ihre konstituierende Sitzung absolvierte. Das brisante Thema der Schwangerschaftsabbrüche, die in einem Gemeinschaftskrankenhaus nicht mehr möglich sein sollen, scheint vorerst geregelt: Frauen können den medizinischen Eingriff im Gesundheitszentrum neben dem Klinikum vornehmen lassen und müssen, sollte es notwendig sein, im Gemeinschaftskrankenhaus stationär behandelt werden. St. Josefs-Geschäftsführer Nieper rechnet aber damit, dass die Zahl der stationären Schwangerschaftsabbrüche ab 2004 sowieso sinkt: „Denn dann finanzieren die Kassen es nur noch, wenn die medizinischen Indikationen es vorschreiben.“ Die Krankenhaus-Fusion, die offiziell als Ausgliederung des St. Josefs Krankenhauses ins Klinikum praktiziert werden soll, bezeichnete Nieper mit Blick auf die Gesundheitsreform als „Dach für beide, mit dem wir bei Unwettern aus Berlin besser gewappnet sind“. Fachbereichsleiter Ernst sprach von einem „Lustgewinn“, der die vom Brandenburger Gesundheitsministerium avisierten Investitionen sichere. Nötig sind 90 Millionen Euro, und sollten die Stadtverordneten der Fusion zustimmen, kann im kommenden Jahr mit zwei Neubauten an der Charlottenstraße begonnen werden. Was jedoch mit dem Areal des St. Josefs-Krankenhauses an der Zimmerstraße geschieht, dazu äußerte sich im Sozialausschuss niemand. In diesem Jahr war das Gebäude auf einer Länge von 300 Metern abgerissen worden, nur die denkmalgeschützte Fassade blieb stehen. 2002 war angesichts der Bauarbeiten für 10 Millionen Euro – darunter auch Fördermittel – ein so genanntes Hilfskrankenhaus aus Raumzellen errichtet worden. Oberbürgermeister Jakobs hatte bereits eingestanden, dass die Entscheidung zur Krankenhaus-Fusion zu spät gekommen sei. Bei St. Josefs seien „20 Millionen in den Sand gesetzt“ worden.

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