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Homepage: Turbokühe im Stress

Sonntagsvorlesung: Milch von glücklichen Kühen?

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Mehr Leistung und weniger Auskommen bei sinkender Beschäftigungsquote: Der modernen Milchkuh in Brandenburg geht es da ein bisschen wie den Arbeitnehmern. Reiner Brunsch, kommissarischer Direktor des Leibniz Instituts für Agrartechnik in Bornim (ATB), stellte bei der Sonntagsvorlesung im Alten Rathaus die Frage nach dem Glück der Kühe, präziser gesagt „wie die Wissenschaft das Glück zu bemessen glaubt.“

Zunächst ging Brunsch die Sache statistisch an, ein jeder der 25 Zuhörer an diesem für sonnige Weidegänge so geeigneten Sonntag war danach für jede Quizsendung gut präpariert. Um die von der EU verordnete Milchquote zu erfüllen (1,35 Millionen Tonnen pro Jahr) arbeiten 160 000 vierbeinige Milchquellen in 777 Betrieben in der Mark sehr hart (in Deutschland vier Millionen, EU-weit 23 Millionen Kühe). Bis zu drei Mal am Tag wird gemolken. Brunsch verglich die körperliche Belastung mit dem von Hochleistungssportlern.

„Turbokuh“ wird jenes hoch spezialisierte Vieh genannt, das in Topform in der Lage ist, 16 000 Kilo Milch im Jahr zu produzieren. Das sind täglich rund 40 Liter. Das Durchschnitts-Pensum der muhenden Athleten der Mark liegt immer noch bei beachtlichen 6850 Kilo pro Jahr. Ein Blick nach Osteuropa zeigt, wie gut man bei uns kuhtechnisch aufgestellt ist. Dort gibt es zwar den dritthöchsten Bestand in der EU, jedoch bringen die Tiere nur zwei Drittel unserer Leistung. Respekt.

Der Nutztierwissenschaftler erklärt dieses Leistungspotential anhand der demographischen Entwicklung, die seit der Wende bei den Paarhufern ähnlich dramatisch ausgefallen ist wie beim Menschen. Enormer Bevölkerungsrückgang in den Ställen, bedingt durch die Folgen der Globalisierung, sprich knallharte EU-Quoten in Verbindung mit ruinös niedrigen Garantiepreisen. Die Folge: die gleiche Arbeit müssen immer weniger Euter verrichten. Auch der Milchbauer spürt diesen Leistungsdruck, wenn er neben seinen schwarz-weißen Frisians – die am weitesten verbreitete Rasse – an der Melkmaschine steht. Molk er per Hand vor 50 Jahren pro Stunde nur acht Kühe, sind es heute bereits 80. Modernste Melkmaschinen, die das ATB immer weiter verbessert, garantieren neben der Geschwindigkeit auch höchste Hygiene und Qualität.

Aber wie sieht es in der Seele solcher Kühe aus? Die Wissenschaft misst den Hormonhaushalt, die Transpiration und die Herzfrequenz. Totale Kontrolle. Jede Milchkuh muss einen gelben Ausweis im Ohr tragen. Geht der verloren, bekommt der Bauer Ärger. Im Grunde jedoch definiert die Wissenschaft das Glück einer Kuh nach ihrer Gesundheit, bzw. der Güte der Milch. Denn Hochleistungskühe sind sehr sensibel, sie brauchen viel Licht und Luft im Stall. Und Kraftfutter, denn würden die Kühe ausschließlich Gras fressen, kämen sie über Kreisklassenniveau – 5000 Kilo Milch pro Jahr – nicht hinaus. Für das besondere Wohlergehen werden in den zeitgemäßen Ställen sogar Schrubberbürsten zum Kratzen installiert, die „sehr gerne“ angenommen werden. Im Stall der Zukunft wieseln zudem permanent kleine Reinigungsroboter auf dem Stallboden herum, um den Dung automatisch zu entfernen.

Kann man den Kühen das Glück ansehen? Brunsch, der – wie Gregor Gysi – einst als Melker anfing, um an der Hochschule zugelassen zu werden, und später über Hühnerställe habilitierte, versucht sich als Milchkuhversteher. „Schaut diese Kuh glücklich?“, sinniert er laut beim Anblick von zwei Kuhporträts. Eleganz im Blick der Schwarz-Weißen und Stolz in den Augen der Braunen kann er ausmachen. Doch Glück?

Die ethische Dimension der Massentierhaltung, auch als „Qualzucht“ bekannt, wurde in der Diskussion angesprochen. Ein Zuhörer schlug in Anlehnung an die Klassifikation bei Hühnereiern vor, kenntlich zu machen, unter welchen Bedingungen die Milch produziert wurde. Wer sicher gehen will, Milch von glücklichen Kühen zu trinken, kann natürlich auch einfach in den nächsten Bioladen gehen.

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