
© Manfred Thomas (3), Jan Brunzlow (2)
Landeshauptstadt: Über dem Mittelpunkt der Erde
Zwölf Leser radelten mit den PNN überall dorthin, wo in Potsdam Zukunft gemacht wird: die FuTour
Stand:
Die Luft in 6370 Kilometer Höhe ist gut. Auch wenn einige der Radfahrer nach dem Aufstieg kurzatmig sind. Sie haben den Telegrafenberg, den Olymp der Potsdamer Wissenschaft erklommen. Dessen Spitze liegt etwa 6370 Kilometer über dem Mittelpunkt der Erde, 94 Meter über dem Meeresspiegel und inmitten der Landeshauptstadt. An einem Ort, an dem die Potsdamer Kartoffel entstanden ist, an dem die weltweit erste Fernaufzeichnung eines Erdbebens stattfand und an dem die Astrophysik ihren Ursprung hat. Ein Ort, an dem heute einige der bedeutendsten Klimaforscher der Welt und die Väter des Tsunamifrühwarnsystems im Indischen Ozean sitzen. Es ist ein besonderer Ort der Wissenschaft, aber nicht der einzige in Potsdam.
18 Institute außerhalb von Universitäten bei 150 000 Einwohnern – Potsdam soll die größte Dichte von Wissenschaftlern sein, die es weltweit gibt. Ein Grund für die PNN, Leser zu einer Radfahrt zu den Orten der Wissenschaft und der Zukunft einzuladen – auf die FuTour.
Es ist 11 Uhr, ein Dutzend Radfahrer steht am Bahnhof Griebnitzsee, dem Treffpunkt und zugleich ersten Ort der Wissenschaftstour. „Das ist ja wie Urlaub hier“, sagt eine Teilnehmerin, als sie am Hasso- Plattner-Institut entlang radelt. Wasserspiele, viel Grün und moderne Gebäude. Dazu eine große Baustelle, weil die bestehenden Einrichtungen nach zehn Jahren HPI schon nicht mehr ausreichen. Mehr als 200 Millionen Euro hat SAP-Mitbegründer Plattner inzwischen in den Standort investiert. Daher ist ein Vergleich mit Dietmar Hopp, einem anderen SAP-Mitbegründer, berechtigt: Was Hopp für den Fußball-Bundesligisten Hoffenheim, ist Hasso Plattner für Potsdam. Ein Mäzen, der einen Teil seines Geldes in die Zukunft investiert.
Die erste von sieben Etappen der Tour de Potsdam kommt in Schwung. PNN-Leser aus Potsdam, Bergholz-Rehbrücke und Berlin sind an den Start gegangen. Sie wollen sich einen Wissenschafts-Überblick verschaffen – und Rad fahren. Es ist heiß, die kurzen Pausen an den Stationen finden im Schatten statt. Die Strecke führt vorbei am HPI, Uni Potsdam, School of Design, die Berliner Straße der Filmstudios zur Hochschule für Film und Fernsehen. Aktuell 582 Studenten meldet der Pförtner, aber keiner ist da. Semesterferien. Nein, vorlesungsfreie Zeit, verbessert er. Mehr hat er nicht zu sagen. Ein Blick in die Kunsthochschule lässt erahnen, welche Möglichkeiten sich hier bieten. Seit 1954 gibt es die Hochschule – sie ist die älteste Filmhochschule Deutschlands. Die Zeitreise, geplant in die Zukunft, bringt die Radfahrer allerdings noch weiter in die Vergangenheit.
Es wird historisch, als Dr. Zeiger von der Urania über die Entstehung und Ereignisse auf dem Telegrafenberg spricht. Dem Berg, mit den wohl allgemein verständlichsten Wissenschaften in Potsdam. Geoforschung, Astrophysik, Klimafolgeforschung – Dinge, unter denen sich die zwölf Radfahrer etwas vorstellen können. Doch die Bandbreite der Forschung am Geoforschungszentrum GFZ ist ungeahnt hoch. Eintritt in die untere Etage des großen Refraktors. Dr. Wigol Webers gibt einen Überblick über die GFZ-Projekte Tsunami-Frühwarnsystem, unterirdischer CO2-Speicher in Ketzin und die Satelliten in der Erdumlaufbahn. Er erklärt, dass die da oben weder Kreise noch Ellipsen sondern in unregelmäßigen Bahnen fliegen, dass jedes Erdbeben weltweit heute innerhalb von acht bis zehn Sekunden vom Telegrafenberg aus lokalisiert werden kann und dass der Mensch der Erde noch nicht einmal unter die Haut geschaut hat. 30 Kilometer ist die Erdkruste dick, die tiefste Bohrung laut Webers 14 Kilometer. Und was ist mit der Potsdamer Kartoffel? Seit 106 Jahren gibt es die auf dem Telegrafenberg. Sie ist fast rund, mit ein paar Beulen. Die ganze Welt kennt sie. So sieht die Erde aus, wenn sie sich nicht drehen und die Rotation sie nicht wie eine Kugel erscheinen lassen würde. Dargestellt ist mit der Potsdam-Kartoffel des GFZ die Verteilung der Erdmassen.
Das System Erde zu begreifen, daran arbeiten allein in Potsdam 950 Menschen am GFZ. Um einmal Fragen wie „Wie beeinflussen die Aktivitäten auf der Sonne die Temperaturen auf der Erde?“ beantworten zu können. Ein Thema, das auch Wigol Webers interessiert. Er ist sich sicher, dass der Mensch einen Einfluss an der aktuellen Klimaerwärmung hat. Aber die müsse über den gesamten Zeitraum der Erdgeschichte betrachtet werden. Er präsentiert Klimatabellen, die vom benachbarten Institut für Klimafolgeforschung sein könnten. Kälteperioden vor 400 Jahren, inzwischen ein rasanter Anstieg.
Den hat die Radgruppe zu spüren bekommen: Sowohl den geografischen am Berg als auch den der Temperaturen. Es ist heiß, ein Eisstopp wird gewünscht. Doch alles hat zu. Es ist Samstag, die Wissenschaftler haben frei und die Kantinen sind geschlossen. Auf der Strecke, die die Innenstadt weitgehend meidet, ist ein Bistro eher selten. Trinken und Essen aus dem Rucksack ist angesagt.
Weiter geht es: Hermannswerder, vorbei am Biotechcampus und per Fähre zum Kiewitt, danach durch den Park Sanssouci bis zur Universität. Es ist der zweite von drei Standorten der Uni Potsdam. Und einer im historischen Ambiente dazu. Von außen nicht sichtbar, steht eine Bibliothek mit modernen Architektur. Angehoben auf Stelzen, damit der Charakter des Innenhofes erkennbar bleibt, ist der Glasbau in einen Hof der Communs eingebaut. Zu klein, wie die stellvertretende Bibliotheksleiterin sagt. Aber in Golm soll im nächsten Jahr die größte Bibliothek der Uni eröffnen.
Golm – der letzte Standort der ersten Tour de Potsdam-Etappe. Die Gruppe ist am Telegrafenberg aufgehalten worden, die ersten beiden Fahrer verabschieden sich. Sie haben eine lange Rückfahrt. Für die anderen geht es weiter über die Lindenallee nach Golm. Wissenschaftsstandort Nummer 1 in Potsdam. Seit 2003 Teil der Landeshauptstadt, sind in der Universität, drei Max-Planck-Instituten und zwei Fraunhofer-Instituten täglich mehr als 7000 Studenten, 2000 Wissenschaftler und 800 Fachkräfte unterwegs. Was alles nötig ist, um den Standort zu koordinieren und zu vermarkten, erklärt Friedrich Winskowski. Seit knapp einem Jahr ist er Marketingchef des Wissenschaftsparkes. Die Institute werden sich in den nächsten Jahren vergrößern, sagt er. Die Ausbaupläne stehen. Eine Kita wird gebaut, ein Besucherzentrum ist in Planung. Und er hat eine 100-Punkte-Liste: Die Probleme der Institute und Firmen. „Die wird immer 100 Punkte haben“, ist sich Winskowski sicher. Kaum ist einer beseitigt, kommt ein anderer dazu.
Für die Radgruppe geht es zum Abschluss noch einmal auf 6370 Kilometer Höhe – obwohl die genaugenommen nie verlassen wurde. Ein Blick vom Dach des Go:In, des Innovationszentrums, dem Standort für Neugründer in Golm, verschafft einen letzten Überblick über Science City Potsdam. Um 17.30 Uhr ist die Zukunft an diesem Tag zu Ende. Jan Brunzlow
Die 2. Etappe der Tour de Potsdam, die „PartiTour“, findet am kommenden Samstag statt. Interessierte können sich heute ab 15 Uhr unter Telefon (0331) 23 76 116 dafür anmelden.
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