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Homepage: „Überrascht über Ost-West-Debatte“

Die britische Studentin Nicky Vangalis lernt in Potsdam einen Monat lang Deutsch. Ein Gespräch

Stand:

Die britische Studentin Nicky Vangalis lernt in Potsdam einen Monat lang Deutsch. Ein Gespräch Nicky Vangalis studiert an der Universität Brighton Germanistik und Sprachwissenschaft. Sie will Lehrerin werden. Zurzeit nimmt die 23-jährige Studentin mit 49 anderen Sprachstudenten aus aller Welt am Sommersprachkurs „San Souci“ der Universität Potsdam teil. Nebenbei führt sie mit Experten, Politikern und Dozenten Interviews zum Bildungssystem in Ostdeutschland. Die PNN sprachen mit der Austauschstudentin über ihre Eindrücke von Potsdam. Was führt Sie ausgerechnet nach Potsdam? An der Universität Brighton gibt es ein Austauschprogramm mit der Universität Potsdam. Da hat sich der Sommer-Sprachkurs in Potsdam angeboten. Ich bin also nicht gezielt nach Potsdam gekommen. Vorher hatte ich von Potsdam nur in der Schule gehört, ein wenig über die Geschichte und die Wendezeit. An der Universität haben wir letztes Jahr dann die Potsdamer Konferenz behandelt. Wieso lernen Sie Deutsch? Ich hatte in der Schule Französisch und Deutsch als Fremdsprache. Deutsch hat mir als Sprache am besten gefallen. Ich interessiere mich auch stark für die Geschichte des Landes, für die Kriege, die Teilung und die Wendezeit. Für uns Briten ist die Vorstellung, dass ein Land erst geteilt wird und dann wieder zusammen kommt, sehr ungewöhnlich. Mit 13 hatte ich meinen ersten Schüleraustausch in Münster, seitdem bin ich oft wieder in Deutschland gewesen. Mein Vater ist Grieche, mein Onkel hat zehn Jahre in München gelebt. Das ist auch ein Grund für mein Interesse an Deutschland. Was interessiert Sie an der DDR und der Wende? Hauptsächlich die Politik und Ideologie einer Diktatur. Interessant ist für mich die Geschichte der Teilung Deutschlands. Die Diskrepanz zwischen Freiheit im Westen und Diktatur im Osten finde ich spannend. Ich habe großes Interesse an Gesprächen mit Menschen aus dem Osten, um etwas von ihren Erfahrungen zu hören. Bemerkt man die Teilung heute überhaupt noch? Selbstverständlich. Der Berliner Ostbahnhof fühlt sich beispielsweise ganz anders an als der Bahnhof Zoo. Manche Leute im Osten schauen manchmal unfreundlich, wenn sie hören, dass man Englisch spricht. Als ob wir vollkommen Fremde wären. In dem Sprachkurs sind wir drei Studenten aus Brighton. Wir haben gemerkt, dass wir Deutsch sprechen müssen, wenn wir weniger Probleme bekommen wollen. Ein anderes Beispiel: Eine Studentin aus dieser Region hat zuerst gedacht, wir wären Amerikaner. Sie hat uns total abgelehnt. Bis sie herausgefunden hat, dass wir Briten sind. Plötzlich war sie wie ausgewechselt: Hauptsache keine Amerikaner, meinte sie. Ich finde das sehr komisch. So etwas würde es bei uns kaum geben. Ich habe das Gefühl, dass hier im Osten viele Leute keine gutes Verhältnis zum Westen haben. Haben Sie von der aktuelle Ost-West-Debatte hier in Deutschland etwas mit kommen? Ja, wir haben es auch im Kurs besprochen. Die Äußerungen von Herrn Stoiber sind für mich unglaublich. Das wäre in Großbritannien nie möglich. Wenn man bei uns versucht, die Gesellschaft zu spalten, gibt es großen Ärger. Es gibt Ressentiments zwischen Schotten, Iren und Engländern, aber die Politiker instrumentalisieren diese nicht. Über die Debatte hier bin ich sehr überrascht. Die These von Innenminister Schönbohm zu den Kindstötungen ist absurd, so etwas gibt es in allen Gesellschaften, egal ob Diktatur oder nicht. Wenn man ein besseres Verhältnis zwischen Ost und West haben will, darf man solche Thesen nicht in den Raum stellen. Deutschland ist also nicht so zusammen gewachsen, wie Sie erwartet haben? Allein schon am Zustand der Gebäude ist ein großer Unterschied zwischen Ost und West zu bemerken. Und in Brandenburg fällt auf, dass es keine Industrie gibt. Im Osten habe ich auch Menschen erlebt, die sich die Mauer zurück wünschen. Jetzt scheinen die Politiker die Diskrepanz zwischen Ost und West zu sehen. Das hätten sie aber früher sehen müssen. Jetzt wird es zwei oder drei Generationen dauern, bis alles zusammenwächst. Die Kinder werden zwar in einem gemeinsamen Deutschland geboren, aber ihre Eltern sprechen noch verschiedene Sprachen. Es wäre bestimmt wichtig, das Thema in der Schule stärker zu behandeln. Mit welchen Gefühlen haben Sie Großbritannien nach den Attentaten verlassen? Ich kommen aus Essex, das ist nur eine halbe Stunde von London entfernt. Man kann es nicht wirklich verstehen. Die Attentäter kamen aus unserer Gesellschaft. Ihre Motive hatten sicherlich etwas mit der Ideologie von Al-Kaida zu tun. Ich bin aber auch der Meinung, dass eine Mehrheit in Großbritannien gegen den Krieg im Irak ist. Ich denke, die Anschläge sollten so extrem wie sie waren auch bewirken, dass die Soldaten aus dem Irak abgezogen werden. Mein Cousin ist gerade als Soldat im Irak, ich will natürlich, dass er so bald wie möglich nach Hause kommt. Jetzt nach dem Krieg ist der Zeitpunkt, wo die Truppen abgezogen werden sollten. Ihre Anwesenheit provoziert dort nur weitere Gewalttaten. Sie recherchieren derzeit über das Bildungssystem in Ostdeutschland. Das ist für eine Seminararbeit an meiner Universität. Das Ausbildungssystem in Großbritannien ist ein wichtiges Thema bei uns. Da ist der Vergleich mit anderen Ländern sinnvoll. Ich möchte Lehrerin für Deutsch und Englisch werden. Ich habe die Möglichkeit, in Athen als Lehrerin zu arbeiten, wo ich Familie habe. Ich weiß aber noch nicht, ob ich in Großbritannien bleiben sollte, dort verdient man mehr Geld. Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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