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Homepage: Überraschungen aus Dongtan

Das Einstein Forum fragte Schwellenländer, wie sie mit Umwelt- und Klimaschutz umgehen. Und bekam unerwartete Antworten

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Wenn über den Klimawandel verhandelt wird, liegen gegenseitige Schuldzuschreibung nahe. Einerseits, ganz klar, sind die Industrienationen derzeit die Hauptverursacher der Treibhausgase. Und gerade die größten davon – siehe USA – bewegen sich beim Klimaschutz am wenigsten. Im nächsten Atemzug aber werden dann die Schwellenländer genannt, allen voran Indien und China. Ihr prognostizierter wirtschaftlicher Aufschwung werde in erster Linie auf Energie aus „schmutzigen“ Kohlekraftwerken basieren. Und ein Auto will in absehbarer Zukunft dort auch jeder fahren. Faktoren, die die Klimamodelle mit einberechnen.

Wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht, sollten diese Länder versuchen von uns zu lernen, sagte Dr. Axel Friedrich vom Umweltbundesamt auf dem Workshop „Carbon in the City“, den das Potsdamer Einstein Forum vergangenen Freitag zusammen mit der britischen Botschaft ausrichtete. Bei allen berechtigten Sorgen bezüglich steigender Kohlendioxid-Emissionen durch die Schwellenländer wurde auf dem international ausgerichteten Expertentreffen allerdings schnell klar, dass die Sicht im Westen doch sehr selbstgerecht ist. Denn obwohl man bei uns weder bei sauberen Fahrzeugen noch bei den Kraftwerken wirklich große Sprünge macht, geht der Westen davon aus, dass den Schwellenländern der Klimaschutz völlig egal ist. Dass dem nicht so ist, zeigte das Treffen des Einstein Forums.

Einen überraschenden Lösungsansatz stellte beispielsweise Dr. AbuBakr Bahaj (Uni Southampton) vor. Unweit von Shanghai entsteht derzeit Dongtan. Die „eco-city“ auf der Insel Chongming soll einmal ein Drittel der Größe von Manhattan haben und rund 500 000 Menschen ein ökologisch sauberes Zuhause bieten. Dongtan soll ohne Emission von Treibhausgasen auskommen und über einen eigenständigen Wasser- und Energiehaushalt verfügen. In Dongtan wird es nur öffentliche Verkehrsmittel mit „grünem“ Antrieb geben, Autos werden an der Küste zurückgelassen. Auch Fahrräder bekommen hier wieder eine zentrale Bedeutung. Auf der Insel wird auch kein elektrisches Gerät zugelassen, das nicht strengen Effizienzmaßstäben entspricht. Bereits zur Expo 2010 in Schanghai soll Dongtan für rund 50 000 Einwohner eröffnet werden.

Die Pläne werden bitter nötig, gerade auch als Modellstadt, wächst China doch in den kommenden Jahren rapide weiter. Allein bis 2020 werden laut Bahaj 200 Millionen Einwanderer zum ohnehin schon hohen Bevölkerungswachstum hinzu kommen, was einer Stadt entspricht, die 22 mal so groß ist wie die Neun-Millionen-Metropole Shanghai.

Auch die indische Hauptstadt Neu Delhi mit ihren bis zu 17 Millionen Einwohnern hat Platzprobleme. Jährlich kommen hier an die 350 000 Menschen hinzu, berichtete Dr. Shambhu Singh vom indischen Wissenschaftsministerium. Eine Mega-City mit fast 20 000 Einwohnern pro Quadratmeter. Das Pro-Kopf-Einkommen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. „Wer früher Rad fuhr, fährt jetzt Moped und wer Moped fuhr, fährt Auto“, so Singh. 81 Prozent der Einwohner sind motorisiert. Mit verheerenden Konsequenzen für die Luft, könnte man meinen. Doch Delhi kann ebenso überraschen wie das Dongtan-Projekt. Denn heute fahren auf Delhis Straßen an die 90 000 Fahrzeuge mit CNG (Compressed Natural Gas). „Die Luft ist dadurch deutlich sauberer geworden“, so Dr. Singh. Bislang litt ein Großteil der Kinder in der Stadt unter chronischer Bronchitis. Heute sind es laut Singh nur noch 10 bis 15 Prozent. Hinzu komme, dass Delhi heute mit einem Anteil von 18 Prozent Grünflächen die grünste Mega-City der Welt sei.

Bleibt das Energieproblem. Geheizt werden muss in Delhi eigentlich nie. Doch die mittleren Tagesmaxima von 41 Grad im Sommer verlangen nach Klimaanlagen. Früher wurden hier Anlagen auf Basis von Wasserkühlung eingesetzt, die relativ wenig Energie verbrauchten (120 Watt). Doch seit einigen Jahren sei die Luftfeuchtigkeit, wie Singh sagt, aufgrund des Klimawandels zu hoch dafür. Hinzu kommt, dass in den alten Anlagen Mücken nisteten, die Dengue-Fieber übertragen. Daher müsse heute mit modernen Air-Conditionern gekühlt werden, die locker 1000 Watt verbrauchen. Wie Singh betont, eine Folge vor allem auch davon, dass kaum noch Steinhäuser gebaut würden, die Schatten spenden und natürlich kühlen. Sein Fazit: „Glasgebäude gehören verboten!“

Das Engagement in Sachen Klimaschutz in den beiden genannten Schwelleländern kann natürlich nicht über die gigantischen Umweltsünden, gerade in China, und die extremen Lebensbedingungen in den indischen Slums hinwegtäuschen. Aber bei dem Treffen des Einstein Forums wurde deutlich, dass dort ein Bewusstsein für die Problematik Umweltschutz entstanden ist und Konzepte entwickelt werden. In Punkto Klimaschutz verweist Dr. Bahaj schließlich aber auch darauf, dass das individuelle Verhalten der „Hauptmotor“ zur Reduzierung von Treibhausgasen werden dürfte. Hier trifft er sich mit den Ansichten des deutschen Umwelt-Experten Friedrich. Auch für ihn fängt Klimaschutz bei jedem selbst an. In seinem Vortrag zeigt er ein Bild von seinem Arbeitsweg. Den er selbstverständlich mit dem Fahrrad bewältigt.

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