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Ohne Worte. In ihrer Heimat, dem Irak, war Alaa Zwayyer (Dritte von rechts) Sportlehrerin. Jetzt ist sie bei der Kita „Abenteuerland“ als Dolmetscherin angestellt, doch auch in der AG Tanzen ist sie aktiv. Das Tanzen sei ideal, um Menschen zusammenzubringen, findet sie. Denn dabei sprechen alle dieselbe Sprache.

© Andreas Klaer

Hilfe für Flüchtlingskinder in Potsdam: Übersetzerin zwischen den Welten

Um besser mit den Flüchtlingskindern und ihren Eltern kommunizieren zu können, beschäftigt eine Kita im Potsdamer Stadtteil Waldstadt nun eine Dolmetscherin. Die Irakerin hilft nicht nur bei Sprachproblemen.

Von Katharina Wiechers

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Potsdam - „Alle in eine Reihe!“, ruft Alaa Zwayyer und es dauert ein bisschen, bis sich das Knäuel herumtobender Kinder entwirrt hat und alle nebeneinander vor dem großen Spiegel stehen. Die arabische Musik läuft schon, jetzt beginnt der Tanz: Alaa Zwayyer dreht die Handgelenke in der Luft, hebt abwechselnd die Knie – und fünf Mädchen und ein Junge rechts und links von ihr machen es ihr nach. Seit April kommt die 35-Jährige regelmäßig in die Kita „Abenteuerland“ in der Waldstadt, um mit den Kindern zu tanzen, zu spielen, zu üben – und um für sie zu übersetzen. Denn die gebürtige Irakerin ist offiziell als Dolmetscherin eingestellt. Für die Flüchtlingskinder und ihre Eltern.

Seit Februar seien zwölf Kinder aus der temporären Flüchtlingsunterkunft An den Kopfweiden in der Einrichtung, sagt Leiterin Martina Pfaff. Die meisten von ihnen sind mit ihren Eltern aus Syrien geflohen, und die meisten sprachen anfangs kaum Deutsch. „Klar kann man sich mit Händen und Füßen verständigen oder auch mit Piktogrammen arbeiten“, sagt Pfaff. Doch für manches ist eine gemeinsame Sprache eben doch wichtig.

So kam die Leiterin auf die Idee mit der Dolmetscherin. Sie stellte einen Antrag bei ihrem Arbeitgeber, der Arbeiterwohlfahrt (Awo), und bekam grünes Licht. Alaa Zwayyer, selbst Mutter von zwei Töchtern in der Kita „Abenteuerland“, konnte auf Drei-Tages-Basis eingestellt werden – bislang eine Besonderheit in Potsdamer Kitas.

In ihrer Heimat war Alaa Zwayyer Sportlehrerin

Zwei Tage die Woche ist Alaa Zwayyer seitdem im Kindergarten bei den Drei- bis Fünfjährigen, und einen Tag im Hort – so wie heute. Alaa fungiere als eine Art Brücke zwischen den Kindern und den Erziehern, sagt Pfaff. „Sie hat nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch einen ähnlichen kulturellen Hintergrund.“ Für die Kinder sei Alaa wichtig, um Vertrauen aufzubauen, ihr Fragen stellen zu können, die Abläufe zu verstehen. Und gerade im sozial-emotionalen Bereich falle es den Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, oft schwer, sich auszudrücken – also wenn sie wütend oder traurig sind, so Pfaff. Da sei es gut, wenn sie einen Ansprechpartner hätten. Und den Erziehern helfe sie dabei, die Kinder besser zu verstehen.

Und Alaa bringt allen – auch den deutschen Kindern – die arabische Kultur näher. Zum Beispiel mit Musik, wie bei der „AG Tanzen“ heute Nachmittag im Hort. Zwei Mädchen aus Syrien und drei deutsche Mädchen sind es, die jetzt mit Alaa die Schrittfolgen üben. „Anfangs konnten die deutschen Kinder mit der Musik kaum etwas anfangen“, sagt die Irakerin anschließend. In ihrer Heimat war sie Sportlehrerin, seit neun Jahren lebt sie in Deutschland. „Aber die Kinder waren neugierig und mittlerweile kennen sie die Musik.“ Auch zu deutscher oder englischer Popmusik wird getanzt, zum Beispiel haben sie mit Alaa Zwayyer eine Choreografie für das Sommerfest einstudiert. Das Tanzen ist aus Alaa Zwayyers Sicht ideal, um Menschen zusammenzubringen – denn es funktioniert auch ohne Sprache.

"Seit Alaa da ist, haben wir viel weniger Angst"

Ein besonders aufgewecktes Mädchen ist Sereen mit den langen, dunklen Haaren und der Brille. Man merkt, wie sehr sie die herzliche Alaa mag, ihr vertraut. „Seit Alaa da ist, haben wir viel weniger Angst“, sagt die Zwölfjährige, die mit ihren Eltern aus der syrischen Hauptstadt Damaskus geflohen ist. „Wir können sie alles fragen.“

Bedeutet die Anwesenheit einer Muttersprachlerin dann, dass die Kinder langsamer Deutsch lernen? „Nein“, ist sich Hort-Erzieherin Jana Tränkner sicher. Die Kinder kommunizierten ja auch viel mit den deutschen Kindern, sie lernten die neue Sprache enorm schnell.

Oft sogar so schnell, dass sie ihre Eltern innerhalb kürzester Zeit überholt haben. Das wiederum führe dazu, dass die Erwachsenen immer unsicherer würden und sich zurückzögen, so Pfaff. Umso besser laufe es, seit Alaa Zwayyer bei den regelmäßigen Elterngesprächen dabei sei. Früher hätte sie für die Termine eigens einen Dolmetscher ins Haus bestellen müssen – dieser habe ständig gewechselt. Oder, noch ungünstiger, die Kinder übersetzten für die Eltern, obwohl sie selbst ja Gegenstand des Gesprächs waren. Seit Alaa Zwayyer als konstante Begleiterin dabei ist, habe sich das Verhältnis zu den Eltern deutlich verbessert, sagt die Kita-Leiterin. Sie verstünden besser, was in der Kita abläuft und was sich bei der Entwicklung ihrer Kinder tut. Und die Erzieher wissen nun, was bei den Kindern zu Hause geschieht. Auch Alaa Zwayyer weiß, dass es notwendig ist, den Menschen zum Beispiel aus Syrien das deutsche Betreuungssystem zu erklären. „Dort gibt es so etwas wie Nachmittagsbetreuung gar nicht“, erklärt sie. „Die Kinder sind bis 13 Uhr in der Schule, und das war’s.“

Die Kinder aus den Flüchtlingsheimen brauchen besonders viel Nähe und Aufmerksamkeit

Das System erklären – das ist auch für die Kinder wichtig. Schließlich gibt es im „Abenteuerland“ wie in wahrscheinlich jeder deutschen Kita feste Abläufe und Regeln. „Anfangs gab es viele Konflikte“, sagt Erzieherin Dana Hofmann. Aber es sei deutlich zu spüren, dass die Regeln von den Kindern besser akzeptiert würden, wenn Alaa Zwayyer sie ihnen in ihrer Muttersprache erkläre. Deshalb ist Hofmann froh über die Unterstützung der Dolmetscherin an zwei Vormittagen die Woche. Aber eigentlich wäre noch deutlich mehr Personal nötig. Denn vor allem die Kinder aus dem Flüchtlingsheim suchten anfangs intensiv die Nähe der Erzieher, bräuchten sehr viel Aufmerksamkeit, Orientierung. Doch dafür reichten die Kapazitäten bei Weitem nicht – trotz der Übersetzerin.

Die deutschen Kinder reagierten ganz unterschiedlich auf die Flüchtlinge – die Pfaff so eigentlich nicht nennen will, weil die Herkunft im „Abenteuerland“ keine Rolle spielen soll. „Manche bieten sich an und helfen den Neuen, andere sind eher skeptisch“, sagt sie. „Das liegt natürlich auch daran, wie sie im Elternhaus geprägt werden.“ Offene Kritik daran, dass Kinder aus Flüchtlingsfamilien in der Kita seien, habe es aber noch von keinem Elternteil gegeben. „Den Kindern versuchen wir zu vermitteln, wie schwer es ist, in einem Land zu sein, wo man ganz und gar fremd ist“, sagt Pfaff. Dass man eines Tages trotzdem dazugehören kann, sehen sie an Alaa.

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