Landeshauptstadt: Umzug ins Nichts
Die Gruppe Hausbesetzer in der Johannsenstraße ist gestern ausgezogen und hat nun kein Heim mehr
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Babelsberg - Neuer Wohnort: Noch unbekannt. In gedrückter Stimmung und bei sengender Hitze ist gestern die Gruppe Jugendlicher, die schon seit Monaten ein Haus in der Babelsberger Johannsenstraße geheim bewohnte, aus ihrem baufälligen Domizil ausgezogen. Von heute an soll ihre ehemalige Bleibe nach dem Willen des Eigentümers, der angrenzenden HavelbusVerkehrsgesellschaft mbH, abgerissen werden, weil das Unternehmen mehr Parkfläche und eine zweite Ausfahrt von seinem Gelände benötigt (PNN berichteten). „Zuerst wird das Dach weggerissen“, sagte Havelbus-Marketingschefin Renate Walkenhorst gestern den PNN. Sie hatte die Verhandlungen mit der Hausbesetzer-Gruppe geführt. Die rund zehn jungen Leute im Alter zwischen 20 bis 30 Jahren hatten sich vor etwa drei Wochen als Initiative „Wir wollen leben“ an die Öffentlichkeit gewandt. Durch Zufall hatten sie erfahren, dass ihr Heim abgerissen werden sollte – und den Entschluss gefasst, die Potsdamer auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Gestern nun der Auszug. Sozialbeigeordnete Elona Müller hatte noch kurz vor Pfingsten zwei Tage Aufschub herausgehandelt. Doch nun? „Unsere Möbel kommen erst einmal in die Keller von Bekannten“, sagte Holger Krom, Sprecher der Gruppe. Über die weitere Zukunft der Bewohner, die „unbedingt“ weiter gemeinsam leben wollen, soll heute Abend informiert werden. Positive Meldungen für die Besetzer scheint es nicht zu geben. Ein Bewohner: „Die Stimmung ist nicht gut. Es ist scheiße, wenn die Perspektive fehlt.“ Und es sei hart, wenn sich niemand für die Probleme von jungen Leute interessiere, die wenig Geld hätten, aber nicht mehr bei ihren Eltern wohnen wollten und könnten. Und sich dadurch aus „Notdurft“ solche heruntergekommenen Häuser zum Wohnen suchen müssten, sie „halbwegs“ wohnlich gestalten würden – um dann wieder aus ihnen heraus zu ziehen. Nun sind sie frustriert, haben Angst, die Gemeinschaft zu verlieren. Die Träume von dem Wohnen, wie es sich die Gruppe für ihre Zukunft vorstellt: Kreativ in einem Haus, das ein Ort für junge, arme Künstler und Talente ist. Und vielleicht für ehrenamtliche Sprachkurse.
Doch wo? Gregor Voehse, Sozialarbeiter beim Diakonischen Werk Potsdam und eine Art Verhandlungsführer der „Wir wollen leben“-Initiative, hofft auf Antworten von den Wohnungsbaugenossenschaften der Stadt. „Die Gruppe hat inzwischen all diese Gesellschaften mit der Bitte um Hilfe angeschrieben.“ Den Briefen beigelegen hätte ein Empfehlungsschreiben der Stadt. „Vielleicht ergibt sich daraus etwas“, so Voehse gegenüber den PNN. Denn eine „adäquate Ausweichmöglichkeit“ für die Gruppe sieht auch Voehe nicht. Dabei sei gerade ihre kollektive Wohnform ein wichtiges Projekt – in Potsdam aber „wegen der hohen Mieten nicht bezahlbar“. Doch seien solche zivilgesellschaftlich engagierten Wohnprojekte wichtig, auch als Gegengewicht zu etablierten Organisationen und zur Politik. Und eben als billige Bleibe.
Das günstige Heim in der Johannsenstraße ist nun nicht mehr. Ob sich die Ex-Bewohner freuen können, dass Havelbus zufrieden scheint? Havelbussprecherin Walkenhorst: „Es ist kein Problem, dass die Jugendlichen da gewohnt haben – schließlich stand das Haus leer.“ Aber nun muss es weg. Wie seine Bewohner.
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