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Landeshauptstadt: Ungeheure Möglichkeiten

Der Potsdamer Jens Todt hat für den Hamburger Sportverein sechs westafrikanische Staaten bereist

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Wer kann schon von sich behaupten, innerhalb von sechs Wochen ausreichend Kenntnis über das Leben in Westafrika erlangt zu haben? Ist dies überhaupt möglich, zumal für einen Europäer? Jens Todt hat es versucht. Der 38-jährige Potsdamer, der zwischen 1991 und 2003 für den SC Freiburg, Werder Bremen und den VfB Stuttgart in Mittelfeld und Abwehr insgesamt 208 Bundesligaspiele absolvierte, war im Auftrag des Hamburger SV unterwegs. Der Fußball-Bundesligist entsandte ihn gemeinsam mit dem Bayreuther Sportwirtschaftler Johannes Baumeister in die nördliche Nähe des Äquators, um die Chancen und Risiken eines Engagements in dieser Region auszuloten.

Die Idee brachte Todt selbst bei HSV-Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer vor, nachdem er im vergangenen Spätsommer bei ihm hospitierte. Zuvor hatte er nach zwei Jahren seinen Job bei „Spiegel-online“ gekündigt. Den Hamburgern lag ein Angebot vor, sich in Ghana am Aufbau einer Fußball-Akademie zu beteiligen. Beiersdorfer wollte mehr wissen über die Situation vor Ort. Beide kamen überein, ein größeres Projekt daraus zu machen. Todt zog also los und recherchierte zwischen November und Februar nacheinander in Ghana, Nigeria, Mali, Burkina Faso, im Senegal und an der Elfenbeinküste. Voraus gingen intensive Vorbereitungen der Tour, an denen sich auch der Leiter des Afrika-Instituts in Hamburg beteiligte. Der ehemalige Berufsfußballer war immer im Wochenrhythmus in einem der Länder und daheim bei Ehefrau Imke und den beiden Töchtern Lotta (9) und Emma (3). Die Familie, die seit viereinhalb Jahren unweit des Neuen Gartens lebt, vergrößert sich im Juli noch einmal. Potsdam soll Familiensitz bleiben, ganz unabhängig davon, wo sein Oberhaupt in Zukunft beruflich zu tun hat.

Der ausgebildete Journalist, dessen Reputation im deutschen Fußball nicht besser sein könnte, beendete gestern erst einmal in Hamburg mit der Präsentation seines Abschlussberichtes das Westafrika-Projekt. „Ich habe in kurzer Zeit dermaßen viel gesehen und erlebt. Das Ganze wird sicher eine Weile nachklingen“, erzählte Jens Todt, dessen Eindrücke in gewisser Weise die Zerrissenheit der bereisten Region widerspiegeln. Nigeria beispielsweise hat sich mit seiner ungebremst wachsenden Mega-City Lagos längst vom Dasein eines Vorzeigemodells für westlich ausgerichtete Entwicklung auf dem schwarzen Kontinent verabschiedet. Es ist sehr gefährlich dort. Der Lebensrhythmus ist mitbestimmt von Korruption, Kriminalität und riesigen Umweltproblemen. Die Abstecher in die Sahelzone, nach Burkina Faso und Mali, boten andererseits das traditionelle Afrikabild. Beide Länder gehören zu den ärmsten der Welt. Todt schwärmt dennoch von ihnen. Er hatte in Ouagadougou, der Hauptstadt des früheren Obervolta, eine Audienz im Palast des Königs der Mossi, die in der ehemaligen französischen Kolonie die bedeutendste Volksgruppe stellen.

In Malis Hauptstadt Bamako hat ein Unternehmer auf dem Gelände einer ehemaligen Müllkippe Erde zusammengeschoben, auf der junge Fußballer barfuß oder in Plastiksandalen irgendwo zwischen Spaß und Ernst in Aktion waren. Für Jens Todt blieb dieser Anblick der Nachhaltigste seines Projektes. Er rührte jedoch auch in gewisser Weise an die Grundproblematik, die deutsche Vereine bislang vor einem Engagement in Afrika zurückschrecken ließ. „Es kommt nicht von ungefähr, dass von den insgesamt 70 in der 1. und 2. Bundesliga unter Vertrag stehenden Afrikanern ganze sechs direkt aus ihrer Heimat nach Deutschland transferiert wurden. Alle anderen hatten zuvor schon anderswo im Ausland Erfahrungen gesammelt.“

Vorbehalte und Unsicherheiten gegenüber afrikanischen Spielern sind bei den 36 Bundesliga-Vereinen immer noch stark ausgeprägt, wertet der nun zum Afrika-Experten aufgestiegene Europameister von 1996, der sich uneingeschränkt für die sportlichen Qualitäten afrikanischer Topstars wie Samuel Eto´o (FC Barcelona), Michael Essien, Didier Drogba (beide Chelsea London) oder Emmanuel Adebayor (Arsenal London) begeistern kann. Sie stellen für ihn so etwas wie die Idealverbindung von Improvisationsvermögen und Athletik dar.

In Deutschland ist der Hamburger SV seit längerem schon Vorreiter in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Profis. Bei ihm stehen Guy Demel, Collin Benjamin, Thimothee Atouba, Mohamed Zidan, Otto Addo und der hochveranlagte Angreifer Eric Maxim Choupo-Moting unter Vertrag. Zur kommenden Saison kommt noch Jonathan Pitroipa vom SC Freiburg hinzu, der aus Burkina Faso stammt und mit einem Körpergewicht von kaum 60 Kilogramm zu den absoluten Leichtgewichten im deutschen Profifußball zählt. Pitroipa galt übrigens als absoluter Liebling Volker Finkes, mit dem Jens Todt ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet. Beide arbeiteten in den Neunzigern fünf Jahre beim SC Freiburg als Trainer und Spieler zusammen und telefonieren auch heute noch miteinander

Worauf sich die beiden Afrikareisenden Todt und Baumeister gestern mit dem Hamburger SV im Anschluss an die Vorstellung eines zusammenfassenden Berichtes verständigt haben, blieb offen. Jens Todt ließ jedoch zuvor durchblicken, dass er der Auffassung ist, dass man die Sache angehen sollte: „Wir haben dort viele Kontakte geknüpft und dem Verein einen Informationsvorsprung erarbeitet, der nicht ohne weiteres preisgegeben werden sollte. Das große Angebot an Talenten bietet ungeheure Möglichkeiten. Wichtig ist jedoch, dass ein Engagement neben der Konzentration auf den sportlichen Aspekt unbedingt auch eine soziale Komponente beinhaltet. Wir halten es für unerlässlich, dass ein Bundesligaverein in einem Entwicklungsland verantwortungsvoll agiert, Respekt vor der fremden Kultur zeigt und sich dadurch Glaubwürdigkeit verschafft“, sagt er.

Morgen wird sich Jens Todt das Spiel zwischen Babelsberg 03 und dem 1. FC Union ansehen.

Thomas Gantz

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