POSITION: Unpolitische Religionswissenschaft?
Warum die iranische Qom-Universität nicht so harmlos ist wie behauptet Von Olaf Glöckner
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Als gelungenes Projekt mit „sehr offenen Begegnungen und ernsten akademischen Diskussionen“ beschrieb der Potsdamer Religionswissenschaftler Johann Evangelist Hafner jüngst in dieser Zeitung (PNN, 16. Oktober 2013) eine Studienreise an die iranische Hochschule für Religionen und Denominationen (URD) in Qom. Ein heikles Unterfangen allemal, denn besagte Institution ist bekanntlich ein „Baby“ des Terrorförderers, Religionsfanatikers und Ex-Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad. Nach außen hin pflegt die URD das Image des weltoffenen Austausches, nach innen lässt sie zweckgerichtete Forschung unverblümt durchblicken. So hält die Satzung der Hochschule – als amtliches, von Ahmadinedschad unterzeichnetes Dokument – unter Paragraf 3, Punkt 10, als Ziel eigener Forschung explizit „die Identifizierung der Schäden und Drohungen, die von abweichlerischen Sekten herrühren, und das Finden einer Antwort darauf“ fest. Als „abweichlerische Sekte“ gilt im Iran unter anderem die religiöse Minderheit der Bahai, deren Angehörige systematisch ausgegrenzt, verfolgt oder zur religiösen Konversion gedrängt werden. Auch spontane Tötungsverbrechen an Bahai-Angehörigen sind im Iran keine Seltenheit.
Ein Ende der Verfolgung ist auch unter Ahmadinedschads Nachfolger, Hassan Rohani, nicht in Sicht. So berichtete der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechtsverletzungen im Iran, Ahmed Shaheed, erst letzte Woche vor der UNO-Vollversammlung, dass religiöse Minderheiten, darunter Bahai, Christen und Sunniten, zunehmend Formen von rechtlicher Diskriminierung ausgesetzt seien, darunter in den Bereichen Beschäftigung und Bildung. Zudem würden sie oft Opfer von willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Misshandlungen. Professor Hafner berichtete nun, dass man in Qom an mehreren Stellen die Behandlung der Bahai angesprochen habe und Übergriffe auf Bahai von allen Gesprächspartnern verurteilt worden seien. Das klingt nett und unverbindlich zugleich, und tut obendrein niemandem weh – außer vielleicht den Bahai. Kam während der gesamten Exkursion niemand auf die Idee, angesichts ihrer kritischen Lage auch Bahai-Theologen treffen zu wollen?
Schwamm drüber und Blick auf die Agenda des Forschertreffens: Workshops und Seminare zu religiöser Trauer, zu Begräbnisritualen, zur Historizität von biblischen und koranischen Propheten und zu Heiligenkulten. Nicht unspannend, aber auch unverfänglich. Am Ende dann doch noch eine kleine Sensation: „Es wurde sogar (sic.!) über die Möglichkeit homosexueller Lebensmodelle in der Bibel gesprochen.“ In der Tat: Wenn es um gleichgeschlechtliche Liebe geht, reden sich Theologen aller monotheistischen Religionen regelmäßig die Köpfe heiß. Mit dem nicht ganz unbedeutenden Unterschied, dass im Iran, der von einem radikal-islamistischen – religiös kontrollierten – Regime regiert wird, auf Homosexualität auch juristisch die Todesstrafe steht. So ist es gut möglich, dass im Elfenbeinturm von Qom – mit hochkarätiger deutscher Beteiligung – über antike Sichtweisen auf Sexualität sinniert wird, während anderswo im Land gerade Homosexuelle erhängt und „Ehebrecher“ gesteinigt werden.
Zeitgleich mit dem Hafner-Interview in den PNN berichtete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, dass den Eltern der im Pariser Exil lebenden iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani von den Teheraner Behörden in Aussicht gestellt wurde, ihrer Tochter wegen erotischer Filmszenen die Brüste abzuschneiden. Kein Zweifel: Um eine religiöse Begründung für diese abartige Androhung werden die Gesetzeswächter nicht verlegen gewesen sein. Doch zurück zur Potsdamer Erkundungsreise nach Qom: Verständlicherweise sollte es keine regimekritische Aktion sein. Es bleibt gleichwohl die bohrende Frage: Wie unpolitisch kann, wie unpolitisch darf aufgeklärte Religionswissenschaft bei derartigen Zuständen und Verbrechen wie im Iran eigentlich noch sein?
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien.
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