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Landeshauptstadt: Unter der Oberfläche

Thomas Richen lernte in Potsdam tauchen. In Thailand entkam er der Flut, in Sri Lanka half er den Opfern

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Thomas Richen lernte in Potsdam tauchen. In Thailand entkam er der Flut, in Sri Lanka half er den Opfern Von Guido Berg Thomas Richen ist zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Abends im Café klingelt schon mal sein Handy, weil ein Freund ihm mitteilen muss, „du bist gerade im Fernsehen“. Bis zum Morgen des 26. Dezember 2004 ist der 29-Jährige lediglich ein Potsdamer Tauchlehrer, der im thailändischen Khao Lak sein Glück sucht. Seitdem ist er einer, der dort Glück hatte. Viel Glück. Knapp entkam er der Flutwelle, die nach dem Erdbeben im Indischen Ozean auch über den Touristenort hereinbrach und ihn zerstörte. Bereits am Tag seiner Rückkehr ist er bei den Medien ein gefragter Mann. Er hat die Welle gesehen. Und die Leichen, die sie am Strand von Khao Lak zurück ließ. In der vergangenen Woche ist Thomas Richen wieder aus Asien heimgekehrt. Nicht als Opfer diesmal, sondern als Helfer. Vor den Küsten der Patenstädte von Potsdam und Frankfurt (Oder), Galle und Weligama in Sri Lanka, hat er mit anderen Tauchern der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) nach dem gesucht, was der Tsunami von Land spülte. Bevor die Fischer wieder rausfahren, bevor Touristen wieder baden gehen, muss klar sein, was auf dem Meeresboden liegt. Was sie finden, sind Teile von Booten, von Autos und von Menschen. „Ein paar Knochen haben wir gefunden. Die Fische waren sehr schnell“, sagt Thomas Richen nur. Der Meeresboden, über den er hinweggleitet, sieht aus wie abrasiert. Mannsgroße Korallenblöcke wurden von der Kraft des Wassers abgerissen. Dagegen haben sich neue Formationen gebildet – aufgespülte Sandberge, neue Gräben. „Die Sicht ist gleich Null“, sagt Richen, noch längst haben sich nicht alle aufgewirbelten Schwebeteilchen abgesetzt. Den Tauchern gelingt es, ein Bootswrack zu bergen. In Weligama werden die Froschmänner von den Menschen vor Ort jedoch misstrauisch beäugt. Dort gab es vor der Naturkatastrophe viele Juweliere. Sie fürchten nun, die Taucher könnten im Meer auf der Suche nach dem weggespülten Schmuck sein. „Wir sollten einige Sachen nicht finden.“ Als einige Fischer beginnen, mit Dynamit zu fischen, bricht Richens Truppe ihren Unterwassereinsatz ab. Möglichkeiten, sich über dem Meeresspiegel nützlich zu machen, gibt es genug. Die Stadt Galle, sagt Richen, „sieht aus wie auf dem Schlachtfeld“. Dort herrsche nach wie vor Chaos. Während die Aufräumarbeiten in Thailand Fortschritte machten, erweise sich die „korrupte Verwaltungsbürokratie“ in Sri Lanka als Hindernis. „Das Problem ist die Politik“, so Richen. Er und seine Taucherkollegen, alle aus dem Thailänder Tauchclub, der vom Tsunami weggespült wurde, schließen sich einer Truppe von der Flughafenfeuerwehr München an. Gemeinsam pumpen sie zahllose Brunnen aus, in die durch die Welle Salzwasser eingedrungen war. Die Einheimischen haben die Hilfe gern angenommen. Die Kommunikation sei auch fast unproblematisch gewesen, mit Hilfe von „Händen, Füßen und ein wenig Englisch“, scherzt Richen. Momentan wohnt der junge Mann bei seinen Eltern in Frankfurt (Oder) und ist „stolzer Hartz IV-Empfänger“. Bis zum April hatte er eigentlich Tauchlehrer in Khao Lak bleiben wollen, seine letzte Wohnung ist untervermietet. Irgendwann will er Deutschland für immer verlassen, „man rennt hier nur gegen Mauern“, resigniert er. Dabei wird er hier gebraucht – als Helfer von Helfern. Fünf Potsdamer Schulen organisieren derzeit für den 24. Februar eine gemeinsame Benefizveranstaltung zugunsten von sozialen Einrichtungen der Stadt Galle in Sri Lanka. Thomas Richen wird an diesem Abend im Nikolaisaal von seinen Erlebnissen berichten – sowohl von denen als Flüchtender vor der Flut, als auch von denen als Fluthelfer in Sri Lanka. Er wird seine Fotos zeigen. Er wird wieder im Fernsehen sein. Froh sein wird er nicht. Irgendwann an diesem Abend in einem Potsdamer Café, an dem er seine Geschichte zum x-ten Mal erzählt, sagt er einen Satz, der sich auf die Khao Lak-Zeit bezieht, als er am Strand unter den Toten nach einem Vermissten suchte: „Es gibt eine Leiche, die hat sich eingeprägt.“ Thomas Richen ist auch Fluthelfer geworden, um nicht Opfer zu sein.

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