Landeshauptstadt: Unterricht bei den Hobbits
Schüler des Film-Gymnasiums führen durch die Welt von Mittelerde – eine Projektwoche im Filmpark Babelsberg
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„Ich versteh'' kein Wort“, stöhnt Bianca und lacht über sich selbst. „Ich hab heute zum ersten Mal 30 Minuten ,Herr der Ringe'' gesehen“, erklärt sie dem ungläubig blickenden Ralf Tillmann, der Bianca und ihre Mitschüler durch die „Lord of the Rings“-Ausstellung im Babelsberger Filmpark führt. Kann es tatsächlich jemanden geben, der weder Peter Jacksons Filmtrilogie noch die Romanvorlage von J. R. R. Tolkien kennt und dennoch zu ihm in die Caligari-Halle kommt? Und warum hat sich das Mädchen ausgerechnet für dieses Schulprojekt entschieden, in dem es lernen soll, anderen Besuchern die Filmwelt von Mittelerde zu erklären? „Weil alle darüber reden und weil ich es auch endlich wissen will“, antwortet die Vierzehnjährige ohne jeden Zweifel, dass sie es bis zum Wochenende schaffen wird, hinter die Geheimnisse des „Einen Ringes“ zu steigen.
Seit Montag „studieren“ Schüler des Babelsberger Film-Gymnasiums jede Einzelheit der ausgestellten Originalrequisiten. Sie schauen Filmsequenzen, untersuchen, wie Kostümbildner die Kettenhemden „häkelten“, aus welchen Stoffen die Schwerter „geschmiedet“ wurden, wie man die kleinen Hobbits und den großen Zauberer gleichzeitig in Szene setzte und Kreaturen wie Gollum zum Leben erweckte. Ziel ist, am Freitag als fachkundige Studio-Guides die eigenen Lehrer, Mitschüler und interessierte Gäste durch die Ausstellung zu führen. Dabei fängt nicht jeder, so wie Bianca, bei Null an. Der dreizehnjährige Alexander zum Beispiel hat alle drei Filme gesehen und liest jetzt den ersten Band. „Hätte ich es umgekehrt getan, dann hätte ich mir die Figuren selbst ausmalen können“, bedauert er. Andererseits gäbe es im Buch viele Szenen, die im Film ausgespart blieben.
Der Vergleich unterschiedlicher Gestaltungsmittel in Literatur und Film ist ein Lerneffekt, der sich in dieser ungewöhnlichen Schulwoche einstellen kann. Projektleiterin Jana Schneider erhofft sich ein Fächer übergreifendes Lernen, denn Elemente aus Kunst, Literatur und Musik verbinden sich hier mit Technik und Physik. Als Lehrerin für Deutsch und Englisch will sie natürlich, dass ihre Schüler das erworbene Wissen in der eigenen Ausstellungsführung sicher und verständlich präsentieren können. Dazu gehört auch der souveräne Umgang mit den englischen Termini der Filmbranche.
Ralf Tillmann vom Filmpark sieht vor allem medienpädagogische Aspekte. Wenn sich die Bedrohlichkeit mancher Szene in Spezialeffekten auflöst, Tricks durchschaut und Kameraperspektiven nachvollzogen werden, dann wirken die Kunststoffmonster plötzlich harmlos. Ein Erfahrungswissen, das sich auf die Rezeption anderer Filme übertragen lässt.
Während die Projektgruppe von Jana Schneider durch Mittelerde geistert, sind auch alle anderen Schüler des Film-Gymnasiums in Sachen Kino unterwegs. Die einen tanzen Filmszenen nach, die anderen drehen mit Regisseur Thomas Frick Kurzfilme. Im Kunstprojekt entstehen Knetfiguren für Animationsfilme wie „Wallace & Gromit“ oder witziges Daumenkino. In Musik werden Soundtracks analysiert und in Englisch darf über den eigenartigen Humor britischer Filme gelacht werden. Die Ergebnisse können am Sonnabend, dem Tag der offenen Tür, im Gymnasium begutachtet werden. Oder auch am Freitag in der Caligari-Halle im Filmpark, wenn Bianca, Alexander und all die anderen frisch geschulten Studio-Guides durch die Filmwelt von Mittelerde führen. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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