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Landeshauptstadt: Unterschriften gegen Steine

Die Kontroverse über die Garnisonkirche reißt nicht ab. Und die Gegner bekommen immer mehr Zulauf

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Innenstadt - Viele Autos, wenig Menschen. Wo einst die Potsdamer Garnisonkirche stand, klafft heute eine Baulücke, daneben schiebt sich der Verkehr durch die Stadt. Auf einem Teil des Grundstücks steht das DDR-Rechenzentrum, verziert von einem bunten Mosaik mit Karl-Marx-Zitat: „Je weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu anderer Produktion, materieller oder geistiger.“

Ein älterer Herr bleibt vor der Baulücke stehen. Eduard Gödeker hat sich in der DDR gegen den Abriss der Kirchenruine engagiert und mit seinem Berufsverband Eingaben an den Bezirk eingereicht. „Das hat alles nichts genützt“, erzählt der 80-jährige Architekt. Stattdessen gab es Drohungen. „Man sollte sie wieder aufbauen“, sagt er: „Sie gehört zum Stadtbild, vor allem der Turm.“

Seit Jahren bemühen sich verschiedene Akteure um den Wiederaufbau der 1732 eingeweihten evangelischen Garnisonkirche, die 1933 von den Nazis am „Tag von Potsdam“ für einen Staatsakt benutzt, bei Kriegsende 1945 zerstört und 1968 abgerissen wurde. 2005 wurde der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt, 2008 eine kirchliche Stiftung dafür gegründet. Doch bis heute reichen die Spenden nicht, um zunächst den rund 40 Millionen Euro teuren Turm zu bauen.

Rund sechseinhalb Millionen Euro haben Stiftung und Fördergesellschaft nach eigenen Angaben bislang gesammelt. Aus dem Bundeshaushalt sollen weitere zwölf Millionen Euro fließen, wenn die Gesamtfinanzierung steht. In der schlichten Ersatzkapelle am historischen Standort liegen Ziegelsteine in einem Regal. „Angela Merkel“ steht auf einem der Ziegel, „Friedrich II.“, „Drei Dänen“, „Bernd Schröder“ steht auf anderen. Ab zehn Euro Spende kann man einen Namen prägen lassen und so das Bauprojekt fördern.

Ein paar Hundert Meter weiter wird die Stadt lebendiger. Dort haben die Gegner der Garnisonkirche ihren Stand aufgebaut. 6200 Unterschriften sind in den ersten vier Wochen des Bürgerbegehrens bereits zusammengekommen und damit fast die Hälfte dessen, was nötig ist, damit sich die Stadtverordneten mit dem Thema befassen müssen. Die Stadt soll so gezwungen werden, die Auflösung der Baustiftung zu veranlassen. Dann stünde das Grundstück nicht mehr für das Bauvorhaben zur Verfügung.

Eine Frau mit Einkaufstasche kommt zum Stand, aber sie darf nicht unterschreiben – sie wohnt nicht in Potsdam. Das Geld sollte lieber für Kitas und Schulen ausgegeben werden, sagt ein Mann mit Jeansjacke und unterschreibt. Eine perfekt frisierte Mittvierzigerin trägt sich in die Liste ein. Die vielen Denkmäler, die zerfallen, müssten erhalten werden, statt Verlorenes neu aufzubauen, sagt sie.

„Fürchterlich, dass der Staat da auch noch Geld dazugeben will“, kommentiert eine ältere Dame und unterschreibt. Der Bau der Garnisonkirche zementiere ein unpassendes Geschichtsbild, argumentiert ein Mann. Historische Gebäude würden wiedererrichtet, an der Universität gehe zugleich alles bergab, kritisiert eine junge Frau. Mehr als 25 Unterschriften sind so in zwei Stunden zusammengekommen. Dass Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) das Bürgerbegehren kritisiert hat, habe einen Schwung zusätzliche Unterstützer gebracht, erzählt Sven Brödno, der an dem Vormittag den Stand betreut.

Das Bürgerbegehren sei ein „hilfloser Versuch“, eine Mehrheit gegen den Wiederaufbau zustande zu bringen, sagt Jakobs, der auch dem Kuratorium der Garnisonkirchenstiftung angehört. Der Oberbürgermeister könnte durch das Bürgerbegehren in die skurrile Situation kommen, gegen seine eigene Überzeugung die Auflösung der Stiftung beantragen zu müssen. Er gehe davon aus, dass die Mehrheit der Stadtverordneten das ablehnen würde, sagt er.

Es gebe „kaum ein besseres Gebäude“, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, verteidigt Jakobs das Bauvorhaben. Und der prägende Charakter der Kirche für das Stadtbild müsse wiedergewonnen werden. Auch Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) wirbt unermüdlich für das Projekt. Der Aufbau des Turms sei dem Friedensgedanken und der Versöhnung gewidmet, betont er. Als Nächster steigt im Mai Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für die Garnisonkirche in den Ring: Er will bei der Übergabe einer historischen Glocke der Kirche eine Rede halten. Yvonne Jennerjahn

Yvonne Jennerjahn

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