zum Hauptinhalt
Gewalt an Frauen: Dagegen weht seit Montag am Rathaus eine Fahne.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Verein: Jede dritte Frau ein Gewaltopfer

Die Kriminalstatistik zeigt anderes Bild: Weniger Überfälle auf Frauen. Psychologin: Hohe Dunkelziffer

Von Eva Schmid

Stand:

Innenstadt - Die Zahl klingt drastisch. In Potsdam sei bereits jede dritte Frau einmal zum Opfer von Gewalt geworden. Das ergibt eine Hochrechnung des Autonomen Frauenzentrums e.V., die anlässlich des internationalen Aktionstags gegen Gewalt an Frauen am Montag vorgestellt wurde.

Doch die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt ein anderes Bild. Dort ist sogar von einem Rückgang der Straftaten die Rede: In diesem Jahr wurden in Potsdam 242 Fälle häuslicher Gewalt gemeldet. Gegenüber 2011 sei die Zahl leicht zurückgegangen, das letzte Jahr waren es noch 282. Insgesamt zwölf Vergewaltigungen wurden der Polizei in diesem Jahr bereits gemeldet. 2011 belief sich die Zahl auf 18. Für 2010 konnte die Polizei am Montag keine Zahlen liefern.

Dagegen werden die Daten des Frauenzentrums nur errechnet – und zwar anteilsmäßig für Potsdam aus einer bundesweiten Studie des Familienministeriums. Allein in den letzten zwölf Monaten seien in Potsdam 4371 Frauen Opfer von körperlicher Gewalt gewesen, so der Frauenverein mit Sitz in der Schiffbauergasse. Die Unterschiede zwischen der Kriminalstatistik und ihren Daten erklärte Lydia Sandrock, Psychologin im Frauenzentrum: „Die wenigsten Fälle werden der Polizei gemeldet, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher.“ Die Gewalt an Frauen äußere sich meist in Form von Köperverletzungen, Bedrohungen, Vergewaltigungen, sexueller Nötigungen, sexuellem Missbrauch bis hin zu Mord- und Totschlagdelikten.

Als sichtbares Zeichen gegen Frauengewalt weht seit Montag – wie jedes Jahr – vor dem Stadthaus auch die Fahne der Frauenorganisation Terre des Femmes. Bei einem offiziellen Termin wurde die Flagge von Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger (parteilos) gehisst. „Besonders in der Vorweihnachtszeit bricht der Stress bei Familien aus und die Situation kann bis hin zur häuslichen Gewalt eskalieren“, so beschrieb die Beigeordnete das Gefahrenszenario in Potsdamer Haushalten. Sie appellierte, dass Frauen immer wieder eine wichtige Botschaft klargemacht werden müsse: „Sie werden nicht an den Pranger gestellt, wenn sie über Straftaten sprechen oder diese gleich auch anzeigen“. Leider werden die Probleme in den Familien einfach allzu oft ausgegessen.

Müller-Preinesberger bezieht sich in ihrem Appell auch auf den aktuellen Vorfall an der Berliner Charité. Dort soll ein Pfleger ein 16-jähriges Mädchen missbraucht haben. Die Polizei wurde nicht sofort eingeschaltet, die Öffentlichkeit erst spät informiert. „Wenn man so etwas schon nicht verhindern kann“, so die Sozialbeigeordnete weiter, „ müsse man doch wenigstens Aufklärung betreiben – darüber offen sprechen“. Sie befürchtet, dass sich die Frauen ohne Aufklärung noch mehr schämen und am Ende bei sich selbst die Schuld suchen.

„Leider fällt nach wie vor die sexuelle Gewalt meistens hinten runter“, erklärte die Psychologin Sandrock. Die Frauen würden in Beratungsgesprächen eher mehr über häusliche Gewalt sprechen, nur sehr zögerlich über sexuelle Straftaten ihres Partners. Das Beratungsangebot wurde im letzten Jahr von 174 Frauen wahrgenommen. Damit sei ebenfalls ein leichter Anstieg zu den Vorjahren zu verzeichnen, doch das führen die Beraterinnen auf die zunehmende Akzeptanz der Potsdamer Frauen zurück, die mittlerweile endlich vermehrt das Angebot annehmen würden. „Wir müssen ganz besonders auch die Kinder von Frauen, die Opfer von Gewalt sind, im Blick haben“, betonte die Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Martina Trauth-Koschnick. „Die Kinder müssen diese Gewaltspirale durchbrechen, sonst werden sie später auch wieder leicht zu Opfern“.

Hilfe für Gewaltopfer bietet das Potsdamer Frauenhaus, das mit seinen zwölf Zimmern dieses Jahr für 35 Frauen und 36 Kinder Zuflucht bot.

Der internationale Aktionstag geht auf die Ermordung von drei politisch aktiven Frauen am 25. Oktober 1960 in der Dominikanischen Republik zurück. Seit 1981 veranstalten Menschenrechtsorganisationen daher an diesem Tag weltweit Aktionen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })