
© M. Thomas
Ausstellung in der Potsdamer Lindenstraße: Verführungen und Schrecken
Das letzte noch fehlende Modul der Dauerausstellung zur Geschichte des Gedenkortes Lindenstraße 54/55 wurde am Mittwoch eröffnet.
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Innenstadt - Es war eine sehr aufrüttelnde Frage, die Günter Winands am gestrigen Donnerstag in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 stellte: „Können wir noch mal verführt werden?“ Verführt von einer Diktatur, wie sie zwischen 1933 und 1945 in Deutschland herrschte. Winands, der als Vertreter von Kulturstaatsminister Bernd Neumann zur Eröffnung des Ausstellungsteils über die NS-Zeit in die Gedenkstätte gekommen war, erklärte in seiner Ansprache, vielerorts werde nun endlich die Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aufgearbeitet, obwohl sie in den vergangenen Jahrzehnten schon längst hätte aufgearbeitet werden müssen. Es sei beschämend, wie viele Biografien von damaligen Tätern nach dem Krieg „gar keine Brüche“ aufwiesen.
Der neue Ausstellungsteil im ehemaligen Potsdamer Erbgesundheitsgericht, der sich der nationalsozialistischen Justiz in Potsdam widmet, zeigt nun am authentischen Ort Beispiele geradezu brutal reibungsloser Durchsetzung des NS-Rassenwahns. Die weißen Tafeln in der Ausstellung sind dabei den Opfern vorbehalten, den Opfern, die damals unschuldig wegen einer vermeintlichen oder tatsächlichen Erbkrankheit zwangssterilisiert wurden. Die Ausstellung zeigt Einzelschicksale und stellt sie in den Zusammenhang mit der verbrecherischen Gesetzgebung zur NS-Rassenhygiene.
Die Ausstellung erinnert aber auch an Menschen wie Günter Naumann, der hier wegen einer Flugblattaktion inhaftiert und in die Fänge des Volksgerichtshofs geraten war. Das Gebäude in der Lindenstraße diente nämlich auch als Untersuchungsgefängnis für den Volksgerichtshof. Wie Ausstellungskuratorin Gabriele Schnell sagte, ist Naumann der einzige Überlebende, der während der NS-Zeit in der Lindenstraße eingesperrt war und den die Ausstellungsmacher noch selbst sprechen konnten. Man habe zwar gehofft, den heute 91-Jährigen, der jetzt in der Nähe von Luckenwalde wohnt, zur Eröffnung begrüßen zu können. Ein Besuch in seinem ehemaligen Haftort hätte für den Hochbetagten jedoch eine zu große gesundheitliche Gefahr bedeutet. Mit Florian Naumann war indessen ein Neffe des ehemaligen Häftlings erschienen. Er werde seinen Onkel von der Veranstaltung berichten, sagte Florian Naumann am Donnerstag.
Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hob in seiner Ansprache hervor, dass in der Ausstellung die individuellen Schicksale von Menschen in den Mittelpunkt gerückt worden seien. Die NS-Zeit werde in dem Ausstellungsmodul „sehr anschaulich präsentiert“. Zu den bisherigen Teilen der Dauerausstellung, die sich mit der Zeit des Hauses als Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes und der DDR-Staatssicherheit beschäftigen, seien jedes Jahr 20 000 Besucher gekommen.
Besucherin Heidelore Rutz, selbst als Häftling der Staatssicherheit in den 1980er-Jahren in der Lindenstraße inhaftiert, zeigte sich bei der Ausstellungseröffnung schockiert über die dargestellten Verbrechen des NS-Regimes. Es sei „erschütternd, dass sich ein Arzt so tief sinken lassen kann“, meinte Rutz über die NS-Ärzte, die maßgeblich an den Beschlüssen der Erbgesundheitsgerichte beteiligt waren. „Ich bin froh, dass ich nicht damals hier drin gesessen habe“, sagte Rutz sichtlich bewegt. „Was waren das für Typen, die sich auf so was eingelassen haben“, fragte auch Ausstellungsbesucher Dieter Drewitz, der ebenfalls zu DDR-Zeiten im heutigen Gedenkort in der Lindenstraße inhaftiert war.
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