Homepage: Vergessene Rekorde
Ausstellung der Universität Potsdam im Centrum Judaicum erinnert an jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933
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Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wurden für die deutsche Mannschaft ein grandioser Triumph, den sich die nationalsozialistischen Machthaber umgehend auf die Fahnen schrieben. Besonders erfolgreich waren die Leichtathletinnen, sie holten die meisten Medaillen. Wie die Propagandisten des sogenannten Dritten Reiches, sahen auch spätere Historiker einen direkten Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Bewegung und sportlichem Erfolg. Als hätte erst die nazistische Förderung des Sports und der faschistische Körperkult zu diesen Höchstleistungen geführt.
Die jüngst im Centrum Judaicum in Berlin eröffnete Ausstellung „Vergessene Rekorde“, die vom Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports an der Universität Potsdam erarbeitet wurde, revidiert diese Annahme. Sie erinnert an drei deutsche Spitzensportlerinnen, die an dieser Olympiade nicht teilnahmen. Nicht teilnehmen durften, weil sie jüdisch waren.
Eine von ihnen, Gretel Bergmann, hatte kurz vor der Olympiade den deutschen Rekord im Hochsprung errungen. Obwohl im Nazijargon „Volljüdin“, gehörte sie zur deutschen Olympiamannschaft „als Trumpfkarte bei ihrem betrügerischen Poker“, wie sie später reflektierte . Sie war eine von Hitlers „Alibijüdinnen“, deren Akquirierung verhindern sollte, dass andere Staaten die Spiele wegen der Nürnberger Gesetze boykottierten. Die Täuschung wurde aufrechterhalten, bis die US-amerikanische Mannschaft zur Überfahrt nach Europa aufgebrochen war. Nur einen Tag später, am 16. Juli 1936, schloss der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen Gretel Bergmann aus der Mannschaft aus, mit den zynischen Worten, sie habe „aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet“. Mit ihrem deutschen Rekord hätte Gretel Bergmann Olympiasilber geholt, stattdessen wurde ihr eine Stehplatzkarte auf der Zuschauertribüne angeboten.
Gretel Bergmann wanderte in die USA aus, wo sie noch heute lebt. Lili Henoch hingegen, die mehrfach Weltrekorde für Deutschland holte, blieb und wurde deportiert. Und 1942 ermordet. Die diplomierte Sportlehrerin war ein Star der Leichtathletik. Ihr Konterfei schmückte Zigarettensammelbilder, eine Schuhpflegefirma nutzte sie als Werbeträgerin. Die 1899 geborene Sportlerin gehörte zu der Generation, die den Aufschwung der Leichtathletik als eine emanzipatorische Sportart erlebte. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den 20-er Jahren waren günstig, die Arbeitszeit der meisten Menschen verringerte sich soweit, dass sie über freie Zeit verfügten. Viele organisierten sich in Sportverbänden, wo die elitären Abgrenzungen des Adels und des Militärs nicht bestanden und Frauen zugelassen wurden. Das Internationale Olympische Komitee hinkte den Entwicklungen allerdings hinterher und ließ Frauen bis 1928 nicht bei den Spielen antreten. Als Gretel Bergmann 1936 in letzter Minute ausgeschlossen wurde, war dies dem IOC keine Protestnote wert. Die Herren schwiegen.
Auf 22 Tafeln erinnert die Ausstellung, die anlässlich der diesjährigen Leichathletik-Weltmeisterschaften in Berlin gezeigt wird, nicht nur an die Biografien dieser Sportlerinnen. Deren Schicksale stehen exemplarisch für die Ausgrenzung und Ausschließung jüdischer Sportler im nationalsozialistischen Deutschland. Kaum waren die neuen Machthaber gewählt, setzten viele Sportvereine die rassistische Ideologie in vorauseilendem Gehorsam um – und ihre jüdischen Mitglieder vor die Tür. Für die Betroffenen veränderte sich oft innerhalb weniger Tage der Hort der Geborgenheit und Freundschaft in einen Ort der Demütigung.
Dass es dann für einige Jahre zu einer vermeintlichen Blüte des jüdischen Sports in Deutschland kam, gehört zur Strategie der Nazis, die Olympiade nicht zu gefährden. Ausgeschlossen aus den allgemeinen Sportverbänden, waren den Juden jüdische Sportvereine erlaubt, auch wenn sie kaum noch Sportstätten benutzen durften. Spätestens nach dem Novemberpogrom 1938 konnte von einer jüdischen Sportkultur in Deutschland nicht mehr die Rede sein.
Während die Ausstellung Schlaglichter wirft und wie ein Stolperstein auf vergessene Rekorde verweist, bietet der reich bebilderte Begleitband in instruktiven, gut lesbaren Essays reichlich Hintergrundwissen. Lene Zade
Ausstellung bis 23.8. im Centrum Judaicum Berlin, Oranienburger Str. 28, Begleitband, Hrsg. B. Bahro, J. Braun, H.J. Teichler, Verlag Berlin Brandenburg, 16,80 €
Lene Zade
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