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Landeshauptstadt: Vermeintliche Vielfalt für die Systembindung

Der Potsdamer Wissenschaftler Christoph Classen über die Rolle und Bedeutung der Blockpartei-Blätter in der DDR

Stand:

Die DDR war stolz auf ihre Presselandschaft. Bei jeder Gelegenheit wurde auf die Vielfalt von Presseerzeugnissen hingewiesen, darunter 39 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage, die Ende der 1980er Jahre rund 9,7 Millionen Exemplare umfasste. Glaubt man der offiziellen Statistik, dann gehörte die DDR zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Tageszeitungen gelesen worden sind.

Immerhin fast die Hälfte der Tageszeitungen wurden nicht von der SED oder den Massenorganisationen herausgegeben, sondern im Auftrag einer der anderen Parteien. Letztere waren freilich mit ersteren im sogenannten „Demokratischen Block“ zusammengeschlossen, so dass seit Anfang der 1950er Jahre keine Zweifel mehr an der führenden Rolle der Staatspartei aufkamen. Wie die SED, so verfügten auch die drei größeren Blockparteien CDU, LDPD und NDPD jeweils über ein in Berliner „Zentralorgan“ und eine Reihe von regionalen Titeln für die Bezirke der DDR.

Schon auf den zweiten Blick blieb allerdings von der vermeintlichen Vielfalt des DDR-Pressewesens nicht viel übrig. Einer Auflage von 6,6 Millionen Exemplaren der SED-Parteipresse standen 1988 gerade einmal 800 000 Exemplare auf Seiten der übrigen Parteien gegenüber.

Während die SED für die Bezirke Potsdam, Frankfurt und Cottbus jeweils eigene Bezirkszeitungen mit insgesamt 40 Lokalausgaben und einer Gesamtauflage von rund 850 000 Stück herausgab, mussten die von der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NDPD) herausgegebenen „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ das gleiche Gebiet mit nur zwei Ausgaben und einer Auflage von bis zu 22 500 Stück versorgen. Die Höhe der Auflage hatte dabei nichts mit der Nachfrage zu tun, sondern ergab sich aus den staatlichen Papierzuteilungen.

Die gezielte Benachteiligung der Blätter der sogenannten Blockparteien durch Papierzuteilungen und frühe Andruckzeiten war nur ein Aspekt der vorgetäuschten Vielfalt. Schwerer noch wog, dass die umfassende inhaltliche Anleitung und Kontrolle sich nur formal von derjenigen unterschied, der die SED-Presse unterlag. Faktisch galten hier die gleichen Sprachregelungen, thematischen Vorgaben und Tabus. Wer glaubte, sich durch das Abonnement einer dieser Zeitungen der allgegenwärtigen Schönfärberei entziehen zu können, dürfte sich enttäuscht abgewendet haben. Eher war der Informationsgehalt hier wegen der Benachteiligungen noch geringer als bei den SED-Parteizeitungen.

Wenn, von Kleinigkeiten abgesehen, doch überall das Gleiche stand, so stellt sich die Frage, warum man sich in der DDR trotzdem den Luxus einer so differenzierten Presselandschaft leistete – zumal die Zeitungen stets mit hohen Summen subventioniert werden mussten.

Die Antwort darauf liegt in dem Problem begründet, eine sozial und kulturell unterschiedlich geprägte Bevölkerung für das Programm der sozialistischen Umgestaltung zu gewinnen. Die Bezirkszeitungen sollten den regionalen Besonderheiten und dem starken Interesse der meisten Menschen an ihrem lokalen Umfeld Rechnung tragen. Der Presse der Blockparteien kam darüber hinaus die spezielle Aufgabe zu, den vorhandenen politischen und sozialen Prägungen der Menschen entgegenzukommen und sie an das sozialistische System zu binden, seien es Christen, Intellektuelle, Bauern, Mittelständler oder auch ehemalige Nationalsozialisten. Das Konzept, Zeitungen zu machen, die besonders auf die Interessen der jeweiligen Zielgruppe zugeschnitten waren, ließ sich allerdings wegen der strikten Vorgaben aus Berlin nie konsequent umsetzen.

Schließlich bleibt die Frage, was unter diesen Bedingungen die Leser – darunter auch viele Nicht-Parteimitglieder – dazu bewogen hat, eine der Bezirkszeitungen der Blockparteien zu beziehen: Ein Grund lag offenbar darin, dass eine solche Wahl als Zeichen einer gewissen Distanz zum System galt. Wer kein SED-Blatt wollte, landete fast zwangsläufig bei einer der Blockzeitungen, deren regionale Ausgaben immer noch näher bei den Interessen der Menschen waren als die Berliner „Zentralorgane“. Zugleich konnte einem daraus niemand einen Vorwurf machen, denn die Blockparteien galten nicht zu Unrecht als treue Verbündete der Einheitspartei. Auch hier lässt sich daher die DDR-typische Mischung aus innerer Unzufriedenheit und äußerlicher Anpassung beobachten.

Christoph Classen

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