
© M. Thomas
Landeshauptstadt: Verschlüsselte Kritik am DDR-System Journalisten-Urgestein
Brigitte Grell wird 90
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Stolz zeigte der Potsdamer Superintendent Konrad Stolte Bischof Otto Dibelius die Presselizenz der Sowjetischen Militäradministration zur Gründung der Wochenzeitung „Potsdamer Kirche“. Dibelius klopfte dem Superintendenten auf die Schulter und bemerkte etwas lakonisch: „Lieber Konrad, nach sechs Wochen wird euch der Stoff ausgehen“. Diese Skepsis sollte sich aber als unbegründet erweisen. Die „Potsdamer Kirche“ erschien von 1946 an fast 50 Jahre lang. Kurz nach der Wende wurde sie jedoch mit dem Berliner Sonntagsblatt „Die Kirche“ zusammengelegt. Stolte fungierte als einer der ersten Herausgeber der „Potsdamer Kirche“, Pfarrer Günter Heidtmann als Chefredakteur. Dessen Nachfolgerin wurde 1951 die Germanistin Brigitte Grell. Die humorvoll-warmherzige, bis heute immer an den großen und kleinen Ereignissen der Kirche, an der Kultur und Politik interessierte Brititte Grell – ein Potsdamer Journalisten-Urgestein – feiert heute ihren 90. Geburtstag.
Die zunächst in Hannover Aufgewachsene kam 1937 als 15-Jährige nach Potsdam. In dieser Stadt hatte sie familiäre Wurzeln, so zu den stadtbekannten Bäckermeistern Kaldewey und Braune. Grund für den Umzug von Niedersachsen nach Brandenburg waren unterschiedliche Positionen in der Politik der Eltern. Die Mutter war aktives Mitglied der Bekennenden Kirche, der Vater fühlte sich der nationalsozialistischen Ideologie verbunden. Brigitte wurde jedoch von der Mutter stark geprägt und stand der Oppositionsbewegung evangelischer Christen sehr nahe. Ab 1941 studierte sie in Berlin Germanistik, schrieb ihre Promotion über den Dichter Werner Bergengruen und wurde Redakteurin bei der „Potsdamer Kirche“.
In einer Zeit, in der der Staat seinen Bürgern den Atheismus verordnen wollte, kam Woche für Woche die Zeitung zu den Menschen, um sie zu stärken und ihnen zu helfen, als Christen die Gegenwart zu meistern und die Zukunft zu gestalten. Natürlich gab es auch vielfältige Berichte aus der Kirchenleitung, von Synoden oder aus den Gemeinden. „So manche staatliche Repression mussten wir ertragen. Das Presseamt war besonders ängstlich, wenn eine Synode anstand, weil dort auch so manche für die DDR-Oberen unliebsame Bewertung zur Bildungs- oder Wehrpolitik zur Sprache kam. Bibelauslegungen lasen die Zensoren mit besonderer Aufmerksamkeit, vermuteten sie doch darin verschlüsselte Kritik am Staat“, erzählt Grell. „Wenn den Zensoren dieser oder jener Beitrag politisch ein Dorn im Auge war, wurde die Zeitung von der Post an die Abonnenten nicht ausgeliefert. Im freien Verkauf durfte es sie sowieso nicht geben.“
Grell „beschränkte“ sich nicht nur auf ihren Chefredakteurs-Sessel, sie saß auch auf Stühlen, die für die Landes- und Kreissynodale bestimmt waren, aber auch im Gemeindekirchenrat der Pfingstgemeinde nahm sie Verantwortung wahr. Sie wollte Augen und Ohren offenhalten für die Freuden und Sorgen der Menschen um sie herum, damit journalistische Arbeit nicht vom „grünen Tisch“ aus geschieht. Klaus Büstrin
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