Landeshauptstadt: Verwandte und Freunde verteidigen Pflegeeltern
Im Prozess gegen mutmaßliche Kinderquäler aus Neu Fahrland wird am 27. Mai das Urteil erwartet
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Im Misshandlungsprozess gegen Pflegeeltern aus Neu Fahrland haben deren Verwandte und enge Freunde versucht, das angeklagte Ehepaar zu entlasten. Die mehr als achtstündige Verhandlung am Dienstag vor dem Potsdamer Amtsgericht gewährte dabei bemerkenswerte Einblicke in das Leben der Familie – nun folgen am 27. Mai die Plädoyers und voraussichtlich das Urteil in dem Fall.
Unter anderem erklärte Manfred W., der leibliche Sohn der angeklagten 65 Jahre alten Heidi H. (* Namen geändert), seine Eltern hätten alles zum Wohl der ihnen anvertrauten drei Pflegekinder getan. Doch diese „wehrten sich gegen unsere Erziehungsmethoden“ – etwa indem sie Essen mit Spülmittel vergiftet, geklaut oder von seiner Mutter genähte Gardinen zerschnitten hätten. Der heute 36-jährige W. räumte ein, zur Strafe sei den Kindern an den Haaren gezogen und leichte Schläge verabreicht worden. Er kenne solche Erziehungsmethoden aus seiner Kindheit. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Doch seien die Kinder nicht gewaltsam gefüttert worden – vielmehr habe die Pflegetochter Nora S. mehrfach über den Tisch gebrochen, wenn sie nicht weiteressen wollte: „Sie konnte das gut.“ Mit der Zeit habe es immer mehr Ärger mit den Pflegekindern gegeben, sagte W. – wie berichtet stammen diese aus zerrütteten Familien. Angesprochen darauf, warum keine professionelle Hilfe geholt wurde, sagte der Barmixer: „Man trägt seine Probleme nicht in die Welt hinaus.“
M.s 75 Jahre alter Vater Harald schilderte das Leben in Neu Fahrland ebenfalls anders, als es die Anklage vermuten lässt. Demnach geht es um Vorwürfe, das Paar habe ab 1999 fünf Jahre lang seine drei Pflegekinder misshandelt – und 2008 auch noch ein kleines Kind der früheren Pflegetochter Anne S. (* Namen geändert). Sie hat ihre frühere Aussage gegen das Paar wiederrufen und wohnt nun wieder bei der Familie. Auch Harald M. wohnt noch im gemeinsamen Haus, vor Gericht sprach der Ex-Gastronom schwerfällig, wirkte ungepflegt und hatte zwei Brillen übereinandergesetzt. Er sagte, mit den Kindern sei „geredet und geredet“ worden – doch nichts habe gefruchtet. Von ihnen sei sogar Kot an die Klinke seines Zimmers geschmiert worden. Von Schlägen habe er nichts mitbekommen, sagte M. – vielleicht sei aber manchmal an den Haaren gezogen worden.
Von schwierigen Pflegekindern, die bei Blödsinn aber maximal einen Klaps auf den Hinterkopf erhalten hätten, berichtete auch der 62 Jahre alte Polier Klaus R. aus Stahnsdorf – der mit der jetzt 27 Jahre alten Anne S. inzwischen zwei ihrer vier Kinder gezeugt hat, die derzeit alle in einem Heim untergebracht sind. R. war mit der Familie mehrmals im Zelturlaub, auch 2008 auf Korsika. Eine damalige Campingnachbarin hatte ausgesagt, dass älteste, damals drei Jahre alte Kind von Anne S. sei täglich von Heidi H. misshandelt worden. Stiefvater R. sagte, der Junge habe nur geweint, wenn er beim Planschen mit Wasser übergossen worden sei. Zudem habe ein Camping-Sichtschutz Einblicke von außen unmöglich gemacht, betonte R.
Von schönen Urlauben mit der Familie schwärmte Sylvia T., die als frühere Verlobte von Sohn Manfred W. jahrelang mit im Haushalt lebte, keinen Kontakt mehr zu ihren richtigen Eltern hat und vor Gericht die Angeklagten stets als „Mama“ und „Papa“ bezeichnete. Allerdings sei das Verhältnis zu den Pflegekindern wegen deren Intrigen angespannt gewesen – an dem Dauerdruck sei sogar ihre Beziehung zu W. zerbrochen. Ab und an habe es als Strafe Schläge auf den Hinterkopf gegeben – doch so etwas habe sie früher bei ihren Eltern auch erlebt, sagte die 35-jährige Restaurantfachfrau, selbst Mutter von vier Kindern. Zugleich habe sie Heide H. schon damals gewarnt, Pflegetochter Nora S. zu stark zu bevorzugen – sie werde dafür einen „Arschtritt“ erhalten. Dies sei nun geschehen, sagte Sylvia T. unter Tränen und blickte zur Angeklagten: Ihre Kinder hätten Angst um Oma und Opa, dass diese ins Gefängnis müssten. Nach diesem Auftritt sagte T., 2011 habe ihr die heute 24 Jahre alte Nora S. sogar bei einem Gespräch gesagt, sie wolle sich mit ihren Aussagen an den Pflegeeltern rächen – wohl weil sie nicht wieder einziehen durfte. Nora S.’ Anwältin bestritt dies in einer Erklärung: Sylvia T. mache sich damit der Falschaussage vor Gericht schuldig.
Dagegen hatte der Pflegesohn Markus P., der 2004 mit Nora S. flüchtete, die Vorwürfe am zweiten Verhandlungstag bestätigt. Ein Gutachter hatte zudem erklärt, körperliche Strafen seien von den Angeklagten bagatellisiert worden. Es sei kein Vertrauensverhältnis zu den Kindern entstanden – offenbar habe sich die Gewalt in der Familie immer weiter gesteigert. Am Dienstag sagte dagegen eine von 2001 bis 2003 für drei Stunden pro Woche anwesende Familienhelferin, sie habe eine herzliche, aber auch strenge Erziehung der verschlossen wirkenden Kinder wahrgenommen. Daher sei sie erstaunt gewesen, als P. ein Jahr nach seiner Flucht bei ihr angerufen und geschildert habe, ihm sei es bei der Familie jahrlang nicht gutgegangen. Dieser Aussage ging die Therapeutin nicht weiter nach. Mitarbeiterinnen der zuständigen Jugendämter in Potsdam-Mittelmark und Potsdam hatten bereits ausgesagt, trotz eines „negativen Bauchgefühls“ gegenüber der Familie nicht durchgegriffen zu haben – aus Mangel an Beweisen.
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