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Die vergessene Front des Ersten Weltkrieges
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Die blutige Schlacht um das lothringische Verdun (1916), die rund 700 000 Soldaten das Leben oder die Gesundheit kostete, ist noch heute im öffentlichen Bewusstsein lebendig. Wer aber kennt Zamosc-Komarow, Iwangorod oder Gorlice-Tarnów, wo 1914/15 an der Ostfront des Ersten Weltkrieges entscheidende militärische Auseinandersetzungen stattfanden? Diese Frage warf Hofrat Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner auf, als er unlängst den durch das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) Potsdam herausgegebenen Band „Die vergessene Front“ vorstellte.
Der führende österreichische Militärhistoriker wies darauf hin, dass der Weltkrieg im Osten die Landkarte Europas veränderte, in Russland die Zarenherrschaft stürzte und das Habsburgerreich zerfallen ließ, auf dessen Territorium Nationalstaaten wie Ungarn und die Tschechoslowakei entstanden.
Dennoch war unter dem Motto „Im Osten nichts Neues“ bis in die jüngste Zeit eine Konzentration der Forschungen und Veröffentlichungen über den Ersten Weltkrieg auf den westlichen Kriegsschauplatz unübersehbar. Als Gründe dafür nannte Rauchensteiner die Geschichtsfeindlichkeit der Sowjetunion und der nach 1945 entstandenen kommunistisch orientierten Staaten Ost- und Südosteuropas, ebenso die politische Westorientierung der Bundesrepublik Vor allem aber habe die nationalsozialistische Rassen- und Gewaltpolitik im Zweiten Weltkrieg die Namen osteuropäischer Orte stigmatisiert und überlagere vorangegangene Perioden. Wer wisse heute noch, dass Auschwitz, in dessen Vernichtungslager bis zu 1,6 Millionen Juden umgebracht wurde, zuvor Zentrum eines Herzogtums war.
Mit dem Band „Die vergessene Front“ eröffnete das MGFA seine neue Reihe „Zeitalter der Weltkriege“, die im Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn erscheint. Amtschef Oberst Dr. Hans Ehlert verdeutlichte, dass die moderne Militärgeschichtsforschung den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie die dazwischen liegenden Friedensjahre als einheitliche Epoche verstehe. Deshalb müsse auch dem Ersten Weltkrieg als Ausgangspunkt für die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ der gebührende Platz eingeräumt werden. Die Bandbreite der Untersuchung reicht dabei von den militärischen Auseinandersetzungen über die Kriegserfahrungen der Soldaten und der Zivilbevölkerung, Selbst- und Feindbilder, die Behandlung der Kriegsgefangenen bis hin zur Rezeption in der Literatur und zu Ausstellungen, wie sie neuerdings auch im Internet abrufbar sind.
All diese Aspekte berücksichtigt der neue Sammelband, der auf eine wissenschaftliche Tagung 2004 in Potsdam zurückgeht. Herausgeber Oberstleutnant Gerhard P. Groß, MGFA, hat Beiträge von 24 Autoren vereinigt. Die Reihe wird fortgesetzt, nicht in thematisch und zeitlich streng strukturierter Folge, sondern durch Einzelbände unter anderem zur Alltags- und Mentalitätsgeschichte und Biographien. Erhart Hohenstein
Gerhard P. Groß (Herausgeber für das MGFA), Die vergessene Front. Der Osten 1914/15. Ereignis. Wirkung. Nachwirkung. Reihe „Zeitalter der Weltkriege“, Band 1. Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn 2006, 424 S., 38 Euro, ISBN 3-506-75655-9.
Erhart Hohenstein
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