Landeshauptstadt: Vieles erinnert an den „Alten Fritz“
Das älteste Kolonistendorf des Oderbruchs Neulietzegöricke steht heute unter Denkmalschutz
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Neulietzegöricke - Wenn Bürgermeister Horst Wilke durch sein Heimatdorf Neulietzegöricke geht und Besuchern die Geschichte des Ortes mit der höchsten Fachwerkhausdichte Brandenburgs näher bringt, schwingt in seiner Stimme eine Menge Stolz mit. Das liegt nicht nur daran, dass er in der Kluft eines Dorfschulzen kostümiert ist und der Stolz quasi zur Rolle gehört, sondern weil das Dorf tatsächlich etwas Besonderes ist.
„Wir waren nach der Trockenlegung des Oderbruchs vor mehr als 250 Jahren die erste neue Siedlung, zweieinhalb Kilometer von den Deichen entfernt“, erzählt Wilke. Tatsächlich ist der 1753 begründete Ort als ältestes Kolonistendorf der Region in die Geschichte eingegangen.
Wie in kaum einer anderen Region Brandenburgs fühlen sich die Menschen im Oderbruch bis heute mit Preußenkönig Friedrich II. verbunden. Er hatte Mitte des 18. Jahrhunderts das Bruch trockenlegen lassen. Aus dieser Zeit stammt der Satz „Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert.“ Zur Erinnerung an den „Alten Fritz“ wurden unter anderem die Friedrich-Denkmäler in Letschin und Neutrebbin nach der Wende wieder aufgestellt.
Das zeitweilig bis zu 850 Einwohner zählende Neulietzegöricke steht komplett unter Denkmalschutz, nicht zuletzt wegen seiner 27 Fachwerkhäuser links und rechts der Ortsmitte. „Aus Lehmziegeln und Holzbalken erbaut, sind sie ideal für das Oderbruch mit seinen schwankenden Grundwasserständen. Die Last verteilt sich über die ineinander gesteckten Balken gut“, erläutert Wilke.
Die Häuser waren historischen Überlieferungen nach zunächst mit Stroh oder Schilf gedeckt worden und dienten als Wohnstätte für Mensch und Vieh. Ein verheerender Brand machte den Ort 1832 nahezu dem Erdboden gleich. „Aus Brandschutzgründen wurden die Häuser danach mit Ziegeln gedeckt. Außerdem entstanden Nebengebäude wie Ställe und Scheunen“, sagt der Bürgermeister und verweist als Beispiel auf den Vierseitenhof von Eckhard Borkenhagen, Nachfahre einer alten Kolonistenfamilie, die 1753 aus dem Warthebruch herkam.
Noch vor zehn Jahren drohte Neulietzegöricke auszusterben, viele der Bewohner zogen der Arbeit wegen weg. Bürgermeister Wilke ist es zu verdanken, dass der Niedergang gestoppt wurde. Er suchte werbewirksam mit Annoncen nach „Neu-Kolonisten“ und lockte – angelehnt an die Kolonialisierung des Oderbruchs vor mehr als 250 Jahren – mit Vergünstigen wie niedrigen Steuern und günstigen Grundstückspreisen.
So hatte schon Friedrich II. damals Menschen aus Regionen außerhalb Preußens ins gerade erst trockengelegte Oderbruch gelockt.
Die eigentliche Besiedlung mit den Kolonisten erfolgte laut Recherchen von Reinhard Schmook, Leiter des Oderland-Museums in Bad Freienwalde, nach Plänen von Oberst Wolff Friedrich von Retzow, Chef des Potsdamer Grenadierbataillons. Dieser hatte sich durch seine organisatorischen Fähigkeiten einen Namen gemacht. „Der Plan sah vor, auf der Feldmark eines jeden Altdorfes, das es schon vor der Trockenlegung des Oderbruchs gegeben hatte, eine Kolonie anzulegen“, erzählt Schmook. Daher stamme der Zusatz „Neu“ vor vielen Ortsnamen wie Neubarnim, Neutornow oder eben Neulietzegöricke, sagt der Historiker. Bei der Planung und Anlage eines Kolonistendorfes im Oderbruch wurde laut Schmook stets nach gleichem Schema verfahren: Zunächst hoben die Siedler einen Schachtgraben zur Entwässerung aus. Die gewonnene Erde schütteten sie zu beiden Seiten auf und rammten Pfähle hinein. Darauf wurden dann die Häuser errichtet.
In Neulietzegöricke sind leerstehende Fachwerkhäuser knapp geworden, die Einwohnerzahl liegt konstant bei knapp 200. Wilke unterstützte Neuankömmlinge nach Kräften, vermittelte ihnen ortsansässige Handwerker und gab Ratschläge zur Beantragung von Fördermitteln. Zudem bezog er sie in Dorfaktivitäten ein, inklusive des ersten Kolonistentages, den der Ort im vergangenen Sommer in Erinnerung an die Verdienste Friedrichs II. feierte.
Bernd Kluge
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